Queere Antidiskriminierungsarbeit in schwierigem Umfeld
Philipp Reis referiert über die Situation queerer Fußball-Fanclubs in Deutschland
Am Donnerstagabend fand der letzte Veranstaltungsbeitrag der Queer Devils zur PRIDE WEEK KL 2017 statt. Gut 20 Besucher hatten dafür den Weg ins Jugend- und Programmzentrum (JUZ) der Stadt Kaiserslautern gefunden. Unter dem Titel „Homosexualität und Fankultur“ stellte Philipp Reis aus Berlin, Student an der Freien Universität Berlin, die vorläufigen Ergebnisse seiner Forschungsarbeit vor. Mit diesem Thema schließt der Sozial- und Kulturanthropologe derzeit seinen Master ab. Der Schwerpunkt seines Studiums ist Sportethnologie und hierbei vor allem Antidiskriminierungs- und Integrationsarbeit im Sport und im Fußball. Er hat selber lange Vereinsfußball gespielt und geht regelmäßig ins Stadion. Dabei sind ihm schon immer verschiedene Formen der Diskriminierung aufgefallen. Anlass genug, sich dem Thema auch einmal wissenschaftlich zu nähern und hierbei im Besonderen homosexuelle Fußballfans in Stadien und in den Fanszenen in den Fokus zu rücken. Wie gehen sie mit bestimmten Vorstellungen von Männlichkeit um? Wie positionieren sie sich? Dazu hat er im Zuge seiner Recherchen in zahlreichen Interviews mit vielen verschiedenen Akteuren aus der Szene gesprochen, auch mit den Queer Devils.
Dass in Fußballstadien seit jeher bestimmte gesellschaftliche Konventionen außer Kraft gesetzt scheinen und seit Jahrzehnten eine spezifische Verhaltens- und Erlebnis-Kultur für eine bisweilen enthemmte Atmosphäre sorgt, ist kein Geheimnis. Nicht nur in den deutschen Ligen. Historisch betrachtet ist vieles von dem was wir heute unter Fankultur verstehen auch in den Anfängen des Fußballs verwurzelt. Einer Zeit, als der Fußball noch in einer Klassengesellschaft verankert war und sich überwiegend im Arbeitermilieu entfaltete. Vielleicht noch im kleinbürgerlichen Milieu. Gerade in größeren Städten war ein Verein auch Identifikationselement der engeren wahrnehmbaren Hemisphäre. Beispielsweise des jeweiligen Stadtteils, in dem der Verein seine Wurzeln hatte. Der Fußball stellte ein wichtiges und bezahlbares Freizeitvergnügen dar und trug damit wesentlich zu einer Form räumlicher Sozialisation bei. Früh bereits wurden so Rivalitäten gepflegt, beispielsweise zum Verein eines benachbarten Stadtteils. Fußball war in diesen Zeiten Männersache, nicht nur auf dem Rasen, sondern auch auf den Tribünen! Bis weit in die 1960er Jahre hinein war Fußball ein Freizeitvergnügen, dem vor allem Männer nachgingen.
Nicht verwunderlich, dass sich Wesenszüge von Männlichkeit hier in besonderem Maße entfalteten. In seinem Vortrag ging Philipp Reis unter anderem der Frage nach, um welche Art von Männlichkeit es bis heute eigentlich in der Fanszene allgemein geht und von welcher Art Fanszene wir heute sprechen. Unverkennbar sei hier eine Form von „proletarischer Männlichkeit“, deren Wesenszüge schon in den Ursprüngen des Fußballs verankert waren und die sich bis heute hartnäckig gehalten haben, oder sogar weiter verfeinert wurden. Diskriminierung war hierbei seit jeher auch Stilmittel einer ausgefeilten „Beschimpfungskultur“, die vor allem dazu da war, den Gegner zu diffamieren, zu schädigen und zu verhöhnen. Wie in anderen Bereichen der Gesellschaft galt und gilt auch hier die Bezeichnung „schwul“ als Metapher für Verweichlichung, Schwäche, Weiblichkeit. Alles Attribute, die so gar nicht die Vorstellung des herb männlichen Fußballers widerspiegeln.
Die Medienwelt geht seit vielen Jahren, insbesondere rund um die deutsche Eliteliga, mehr oder weniger emsig der Frage nach, ob auch homosexuelle Kicker auflaufen und wann sich jemand outen würde. Dass sich auch auf den Tribünen zahlreiche Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen wiederfinden, ist eine logische und statistische Konsequenz. Auch wenn die Häufigkeit des Vorkommens von Homosexualität im gesellschaftlichen Querschnitt wissenschaftlich nicht verifizierbar bleibt. Im Gegensatz zu einem regelmäßigen Medien-Hype rund um das mögliche Outing eines Profis, finden die Regenbogenaktivisten auf den Tribünen jedoch eher weniger, beziehungsweise nur gelegentliche mediale Beachtung. Die ersten Fanclubs von Schwulen und Lesben für Schwule und Lesben wurden 2001 in Berlin bei der Hertha und in Hamburg beim Kiezclub auf St.Pauli gegründet. Mittlerweile tummeln sich mehr als 20 regenbogenbunte Fanclubs in den Stadien, von der ersten bis zur dritten Liga. Die meisten seien im eigenen Selbstverständnis Fanclubs, wie alle anderen Fanclubs auch. Das gelte hinsichtlich der Leidenschaft für den eigenen Verein oder beim Interesse am Fußballsport im Allgemeinen. Einziger Wesensunterschied im Vergleich mit anderen Fanclubs, sei bestenfalls das Engagement und die Arbeit rund um das Thema Antidiskriminierung. Auf den ersten Blick zumindest. Welche Strategien queere Fanclubs entwickeln, welche Ziele sie haben, und wie sie diese erreichen wollen, waren wesentliche Fragestellungen, denen Philipp Reis im Rahmen seiner Recherchen nachgegangen war.
Hier sei schnell sichtbar geworden, dass die organisierten queeren Fangruppen sich in vielen Facetten doch erheblich unterscheiden. Alles abhängig von verschiedensten Faktoren. Berücksichtigen müsse man hier, in welcher Stadt ein solcher Fanclub aktiv sei, welchen Rückhalt durch den Verein man in Anspruch nehmen könne, welcher Liga der Verein angehöre, wie die Fanszene des jeweiligen Vereins sich insgesamt darstelle, welchen Akzeptanzgrad man in der eigenen Fanszene genieße, wie viele Mitglieder ein queerer Fanclub habe oder wie intensiv man Antidiskriminierungsarbeit leisten wolle. Insbesondere beim gemeinsamen Anliegen, sich gegen „Homophobie“ oder ähnlich zu wertender Diskriminierung zu positionieren, legten die jeweiligen Fanclubs eine Reihe unterschiedlicher Strategien an den Tag. Um das Thema in den Fokus einer breiten Diskussion zu rücken, sei beispielsweise die Sichtbarkeit ein wirksames Instrument. Sich wahrnehmbar selbst zu bekennen, trage schon wesentlich dazu bei, Diskriminierung zu entkräften. Sei es durch klare Botschaften, die durch Kleidung und Fanutensilien nach außen getragen würden, bis hin zu aufwändigen Choreographien, die einen hohen Aufmerksamkeitsgrad erzeugten. Anerkennung und Akzeptanz würden die queeren Aktivisten sicher auch durch Expertise und Vereinstreue ernten. Schwule und Fußball – das würde nicht zusammenpassen? So mancher Regenbogenaktivist könne dieses Klischee alleine schon durch einen ausgeprägten Fußball-Sachverstand widerlegen.
Auch mit dem Schließen von Allianzen würden sich nachhaltige Diskussionsansätze ergeben, die vor allem in der eigenen Fanszene zu wesentlich mehr Verständnis beitragen. Auch hier finden sich immer wieder Beispiele, bei denen queere Fanclubs erfolgreich beispielsweise mit Ultra-Gruppen kooperieren. Bei und zu ganz unterschiedlichen Themen. Steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein. Sich gegen Homophobie zu positionieren bedingt insofern auch die ständige Thematisierung. Laut oder leise, in Richtung der eigenen Fanszene, des Vereins oder im Dialog mit Verbänden. Aber reden alleine ist nicht immer Erfolgsgarant. Aktionen gegen Diskriminierung wie beispielsweise große Choreographien oder Initiativen mit sichtbaren Thementagen seien hier ebenso wirksame Instrumente, mit denen queere Fanclubs im Alleingang oder mit Unterstützung der jeweiligen Vereine erfolgreich Antidiskriminierungsarbeit leisteten. Längst gebe es im Verbund des internationalen Netzwerkes QFF (Queer Football Fanclubs) auch eine Reihe von Informationsmaterialien, die als Leitlinien für andere Fanclubs dienen könnten. Sei es, dass die Inhalte Aufklärungsarbeit für nicht queere Fanclubs leisten oder die Gründung einer weiteren regenbogenbunten Initiative damit unterstützt werden könne.
Dem informativen und sehr detaillierten Vortrag von Philipp Reis folgten unter der Moderation des Journalisten Markus Pfalzgraf ein intensiver Dialog auf der Bühne und eine sich daraus ergebende angeregte Diskussion mit dem Publikum. Hier konnten mit speziellem Blick auf Kaiserslautern auch eine Reihe von positiven wie negativen Wahrnehmungen, Erfahrungen, Facetten der zahlreichen Aktivitäten und die Erfolge rund um die Arbeit der Queer Devils im Umfeld des 1.FC Kaiserslautern noch einmal näher beleuchtet werden. Den Referenten wird es gefreut haben, denn auch wenn er selber eher dem schwarz-gelben Ruhrpott-Verein aus Dortmund nahe steht, so sind doch zumindest seine Eltern beide bekennende und glühende Verehrer des 1.FC Kaiserslautern. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen darf die mutmaßende Frage erlaubt sein, was um Himmels Willen denn hier bei der Sozialisation des Sprösslings der Familie Reis schiefgegangen sein mag.
mg
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