Mol annerschd uff die Annere geguckt – TSV 1860 München
Zwei Clubs, zwei Biographien, eine (verhaltene) Freundschaft
Der TSV 1860 München gastiert wieder mal am Betzenberg. Ein Traditionsverein aus der Bayrischen Landeshauptstadt, der sicher nicht auf eine so lange Bundesligazugehörigkeit wie der 1.FC Kaiserslautern blicken kann. Immerhin eine Deutsche Meisterschaft findet sich in den Annalen des Gründungsmitglieds der Bundesliga. In der Saison 1965/1966 gelang der bislang einzige Meister-Titel in der Geschichte des Fußballvereins mit dem Löwen-Emblem. Seither ist die sportliche Situation eher eine Berg- und Talfahrt zwischen erster Liga und den Niederungen des Fußballs. Nach dem Abstieg im Jahre 1970 gelangen in der Saison 1977/1978 und zwischen 1979 und 1981 noch einmal zwei kurze Gastspiele in der höchsten deutschen Spielklasse und zwischen 1994 und 2004 eine zehnjährige Zugehörigkeit zur 1. Liga. Seit der Saison 2004/2005 dümpelt man eher schlecht als recht in der zweiten Liga umher. Immerhin fast 20.000 Mitglieder zählt der Verein heute, 445 registrierte Fanclubs finden sich auf einer entsprechenden Webseitenliste. Seit einigen Jahrzehnten verbindet beide Vereine eine Fanfreundschaft, die zwar immer wieder beschworen wird, aber eine echte Pflege der Verbindung beider Fan-Lager findet heute nicht mehr in dem Maße statt, wie es noch vor zwei Jahrzehnten der Fall war.
Eine Besonderheit der Münchner Fanszene ist sicher die Organisation der Rahmenstrukturen. Bereits im Jahr 1977 wurde mit der ARGE eine Dachorganisation gegründet, die sich um die Verwaltung und Betreuung der Fanclubs kümmert. Die ARGE ist längst auch eingetragener Verein mit eigener Satzung. In den dort vertretenen 445 Fanclubs sind mehr als 50.000 Löwen Fans organisiert. Eine stattliche Zahl! Diese Form der Fanclub-Betreuung ist einzigartig in der Republik. Einerseits separiert man sich damit natürlich auch ein Stück weit vom Verein. Auf der anderen Seite bietet diese Arbeitsplattform natürlich auch einen Grad von Unabhängigkeit. Zumindest bestätigte Fanbetreuer Christian Exner, dass es derzeit keinen Löwen-Fanclub gibt, der sich nicht der ARGE angeschlossen hätte. Eine Besonderheit in München ist sicher augenscheinlich auch das dortige Fanprojekt. Laut Projekt-Liste der KOS handelt es sich immerhin um ein gemeinsames Projekt für die beiden Münchner Vereine und gleichzeitigen Erzrivalen FC Bayern München und TSV 1860 München.
In vergleichbaren Städten wie in Hamburg oder Frankfurt mit ebenfalls jeweils zwei arrivierten Clubs in erster und zweiter Liga, sind die Fanprojekte strikt getrennt. Auch in Berlin existieren zwei Fanprojekte der KOS, wobei sich eines auf den 1.FC Union Berlin bezieht, während das zweite seine Arbeit auf Hertha BSC Berlin und auf den BFC Dynamo Berlin konzentriert. Auf die besondere Situation in Leipzig, wo mehrere Fanprojekte unter einem Dach aktiv sind, hatten wir an anderer Stelle schon einmal hingewiesen. Wie funktioniert ein Fanprojekt, das zwei Vereine im Fokus hat, die sich rivalisierend gegenüberstehen? „Wir haben ein Dach, einen Träger aber zwei Teams zur Betreuung der beiden Fan-Lager“, so Lothar Langer, langjähriger Mitarbeiter des 1860-Fanprojektes. Neid-Debatten gebe es genauso wenig wie kritische Konfliktsituationen. Die beiden Betreuer-Teams setzen Projekte dann schon getrennt nach Fanlagern um. Wobei nicht nur Sozialpädagogen, sondern immer auch engagierte Leute aus der Szene im Fanprojekt als pädagogische Hilfskräfte mitarbeiten.
Der Beginn der häufig zitierten Fanfreundschaft zwischen dem 1.FCK und dem TSV 1860 München geht auf die Zeit Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre zurück, wobei sich nach unseren Recherchen kein expliziter Zeitpunkt benennen lässt, der beispielsweise mit einem Impuls gebenden Ereignis zusammenhängt. Gemeinsam war beiden Fanszenen seit den 1970er Jahren natürlich die gleichermaßen gehegte Rivalität zum großen FC Bayern! Gemeinsame Feindbilder provozieren nun mal Allianzen! Schenkt man vereinzelten Einträgen in einschlägigen Foren Glauben, so gab es wohl schon Mitte der 1970er Jahre lose Kontakte auf private Initiativen hin, über die kleinere Gruppen sich gegenseitig Besuche abstatteten. Laut 60-Fan-Projekt-Mitarbeiter Lothar Langer gehen erste intensivere Kontakte auf die späten 1980er Jahre zurück, als damalige Hooligan-Gruppen und Kutten-Fanclubs – wohl auch durch private Initiativen – erste Annäherungen suchten. Dazu gehörten auf Lauterer Seite beispielsweise die Hells-Devils. Als 1991 die Löwen in der Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga in Neunkirchen bei der dortigen Borussia gastierten, waren auch einige hundert Lauterer Fans vor Ort und unterstützten den Verein aus der damaligen Bayernliga.
Auch Gastspiele der Löwen in Homburg oder in Offenbach, wo sich die beiden Fan-Lager auch bei Ausschreitungen gegenseitig halfen und unterstützten, werden gelegentlich zitiert. In den Folgejahren wurden solche Annäherungen von den stark wachsenden Ultra-Gruppen jedoch kategorisch abgelehnt. Was da zusammenwuchs ging laut Langer eher auf Initiativen gemäßigterer Fangruppen zurück. Obwohl auch die Lauterer Ultra-Gruppe Generation Luzifer und die Giasinger Buam offen ihre gegenseitige Sympathie bekunden. Sei es durch Verlinkungen auf den jeweiligen Webseiten oder durch Zaunfahnen mit eindeutigen Positionierungen. Zu Beginn des neuen Jahrtausends waren es wieder einzelne Fangruppen, wie dem FCK-Fanclub „Jetzt Erst Recht“ oder der Münchner Gruppe der „Southside Supporters“, die erste gemeinsame Projekte starteten und beispielsweise T-Shirts und Fanschals mit den Logos der beiden Fangruppierungen in Auftrag gaben. In den zurückliegenden Jahren sind diese Verbindungen allerdings merklich eingeschlafen. Im Moment bestehen zwischen den beiden Fan-Lagern zumindest wieder erste Ansätze, die alte Fanfreundschaft auch wieder mit Leben zu füllen.
Im Vergleich zum 1.FCK haben die Löwen neben der etwas höheren Mitgliederzahl und der geringfügig höheren Anzahl an Fanclubs noch an einer anderen Stelle die Nase leicht vorne! Bei der Anzahl gelisteter Fanclubs im jeweils anderen Bundesland. So verzeichnet der FCK auf Bayrischem Territorium lediglich vier Fanclubs, während immerhin 5 Löwen-Fanclubs auf rheinland-pfälzischem Landesgebiet heimisch sind. Darunter auch die Wasgau-Löwen in Busenberg. Ein Fanclub des TSV 1860 München, der dieses Jahr immerhin sein 20-jähriges Bestehen feiern wird. Mit 140 Mitgliedern zählt der Löwen-Fanclub mitten in der FCK-Fanregion Südwestpfalz damit mehr Mitglieder als jeder der in der gleichen Verbandsgemeinde ansässigen FCK-Fanclubs. Woher kommt so ein breites Bekenntnis für einen räumlich so weit entfernten Fußballverein?
Die Gründung des Fanclubs geht auf die Initiative von Achim Bettler zurück, der eben kein FCK-Fan war und in den 1990er Jahren sein Herz an die Löwen verloren hatte, was im Jahr 1996 dann zur Fanclub-Gründung mit damals 12 Mitgliedern führte. Neben dem Interesse am Fußball und der Verbundenheit zu den Löwen steht allerdings die Geselligkeit im Vordergrund. Der Fanclub organisiert zahlreiche Events und Festivitäten und unternimmt auch sonst viel außerhalb des grünen Rasens. „Wir fahren jetzt im Frühjahr beispielsweise mit 75 Leuten an den Gardasee und haben dafür extra einen Doppeldecker-Bus organisiert. Die Fahrt ist schon lange ausverkauft“, so Willi Herder aus dem Vorstand der Wasgau-Löwen. Nicht sonderlich überraschend ist, dass sich in den Reihen der blau-weißen Südwestpfalz-Löwen auch viele bekennende FCK-Fans tummeln. „Ich selber bin auch eher ein Roter Teufel“, gesteht Herder, aber das Gemeinschaftsgefühl des Fanclubs bedeute halt ein Stück lieb gewonnene Heimat in der sich Löwen und Teufel gleichermaßen wiederfinden. Ein schönes Beispiel also für das, was speziell die sogenannte Fan-Freundschaft zwischen beiden Vereinen in ein und demselben Umfeld wiederspiegelt.
Einen LGBT-Fanclub nach dem Vorbild der mittlerweile 25 bei den Queer Football Fanclubs (QFF) organisierten schwul-lesbischen Fanclubs findet man indessen nicht. Leider habe sich bisher jedoch noch keine Gruppe zusammengefunden, die sich dem Thema mal annimmt. Nach einem Gespräch mit den beiden hauptamtlichen Fanbetreuern beim TSV 1860 München durchaus eine Lücke im bunten Portfolio der Löwen-Fanszene. Ich werde das gerne mal mit auf den Zettel nehmen, zeigte sich Fanbetreuer Christian Exner durchaus offen und würde eine solche Initiative begrüßen. „Natürlich gibt es auch in der Kurve schwule Fußballfans, die offen mit ihrer Homosexualität umgehen und das sogar bei den Ultra-Gruppen“, so Lothar Langer vom Fanprojekt der 60er. Allerdings gebe es bei den Löwen eine so große Fülle anderer prekären Themen, die die Fans seit Jahren mehr beschäftigten als das Thema Homophobie.
Dazu gehört neben der tristen sportlichen Situation sicher auch die innere Struktur des Vereins, das Bestreben endlich wieder in einem eigenen Stadion auflaufen zu können und der ungeliebten Arena den Rücken kehren zu können, wie auch die finanzielle Situation des Vereins, um nur die wichtigsten zu nennen. Da aber der große Rivale FC Bayern mittlerweile schon zwei schwul-lesbische Fanclubs in seiner Fan-Community hat, könnte das ja vielleicht auch ein Ansporn sein.
mg
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