Mol annerschd uff die annere geguckt – Leipzig
Wacklige Mogelpackung oder fundierte Identifikation?
Eine Annäherung an die Fanszene eines ungeliebten Projekts
Am kommenden Montag gastiert Leipzig auf dem Betzenberg, Rasenballsport Leipzig, oder kurz RB Leipzig. Oder doch ehrlicherweise eher Red Bull Leipzig? Kein anderer Verein im deutschen Profi-Fußball polarisiert derzeit mehr, als das Projekt aus der sächsischen Metropole, das maßgeblich von einem Unternehmen oder besser von einer Person gefördert und gesteuert wird. Dietrich Mateschitz hat mit seinem Red Bull-Konzern seit der Vereinsgründung im Jahr 2009 bereits zweistellige Millionenbeträge in den Retortenclub investiert. In den kommenden Jahren dürften weitere Gelder folgen. Allein für den Nachwuchsbereich kursieren Zahlen zu einem Investitionsvolumen in einer Größenordnung von 30 Millionen Euro. Erklärtes Ziel ist es, den Verein in die Bundesliga zu führen und Titel zu gewinnen. Ein hohes Ziel, das angesichts der finanziellen Möglichkeiten sportlich zumindest nicht unmöglich erscheint. Seit Jahren hat sich bundesweit Protest formiert und organisiert. Fans empören sich gegen die Kommerzialisierung des Kulturgutes Fußball, insbesondere nach dem Muster Mateschitz. In den Reihen vieler Traditionsclubs aller Ligen werden Aktionen in den Kurven oder der Boykott von Auswärtsfahrten nach Leipzig organisiert. Unter anderem mit der Initiative „Nein zu RB“ hat sich eine gewichtige Stimme gegen das Brause-Projekt erhoben. Diese richtet sich vor allem gegen das Vereins-Konstrukt aber auch gegen dessen Fans und koordiniert mehrere Protest-Aktivitäten aus ganz unterschiedlichen Lagern. Wir wollen hier den Versuch wagen uns vor allem der Fanszene des Projekts mit kritischem Blick etwas zu nähern.
Fankultur im Fußball ist bunt. Bunt wie der Regenbogen. Regenbogen? Da war doch was. Seit 2007 engagieren sich unter dem Regenbogen-Symbol bundesweit schwule und lesbische Fan-Gruppierungen im Netzwerk QFF (Queer Football Fanclubs) vor allem gegen Homophobie im Profi-und Amateur-Fußball. Bei der letzten Tagung der QFF im April in Düsseldorf war unter den nunmehr 32 Mitgliedsorganisationen aus 4 europäischen Ländern erneut die Frage aufgeworfen worden, ob es denn in Leipzig mittlerweile auch einen LGBT-Fanclub (Lesbian Gay Bisexual Transgender) gebe oder zumindest eine Initiative sichtbar sei, dass dort ein solcher gegründet würde.
Vor dem Heimspiel unseres 1.FCK gegen Leipzig war für uns diese Frage der Auslöser dafür, den Stand der Entwicklung einer Fankultur beim sächsischen Club etwas näher zu beleuchten. Im Zuge unserer Recherchen haben wir unter anderem ein Gespräch mit Ingo Hertzsch, einem der offiziellen Fanbetreuer von Rasenballsport Leipzig geführt. Negativ, einen schwulen Fanclub gebe es nicht und eine Initiative zur Gründung sei dort nicht bekannt. Hertzsch ist für die Lauterer Fans kein Unbekannter. Trug der ehemalige Innnenverteidiger doch von 2004 (von Leverkusen gekommen) bis zum bitteren Abstieg 2006 das Trikot der Roten Teufel. Außerdem schnürte Hertzsch die Fußballschuhe auch für den Chemnitzer FC, wo er seine Karriere begann sowie für den Hamburger SV und Eintracht Frankfurt. Nach seinem Engagement am Betzenberg kam er dann über Augsburg im Jahr 2009 zu Leipzig, wo er 2013 seine Kariere beendete und heute als hauptamtlicher Fanbetreuer zumindest immer noch auf der Gehaltsliste von Rasenballsport steht.
Immerhin 18 Fanclubs mit dem Status OFC (Organisierte Fan Clubs) präsentiert Rasenballsport Leipzig auf seiner Webseite. Die Mitglieder der OFC seien einige der treuesten Fans, die zum Beispiel für Stimmung im Fan-Block sorgen und aufwendige Choreografien gestalten, kann man auf der Webseite erfahren. Der Status könne beantragt werden, wenn es den Fanclub schon lange gibt oder man sich extrem engagiert in der Unterstützung des Vereins zeige. Nach Auskunft von Hertzsch gebe es neben den 18 offiziellen Fanclubs immerhin noch etwa 50 weitere Fangruppierungen, die nicht den offiziellen Status tragen. Bleibt die Frage, warum diese sich dann nicht auch den Status des Offiziellen ans Revers heften. Von außen betrachtet mutet die Regelung eher wie eine gewollte Hürde, denn wie eine gepflegte Willkommens-Politik. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Zum Vergleich sei noch erwähnt, der FC Lokomotive Leipzig, der sich als Nachfolgeverein des VfB Leipzig sieht und aktuell in der Oberliga NOFV-Süd kickt, weiß rund 50 organisierte Fanclubs hinter sich. Das bestätigte uns Rene Gruschká, zweiter Vorsitzender, Fanbetreuer und Teammanager in Personalunion. Bis heute übrigens nach eigener Aussage auch noch Mitglied beim 1.FCK und langjähriger Wahl-Mannheimer. Sachen gibt’s, die Welt ist echt ein Dorf!
Was die Webseite von Rasenballsport zur Fanszene hergibt, wirkt leider etwas künstlich. Die stolze Präsentation der 18 OFC auf der Vereins-Webseite mutet leider ein wenig künstlich an. Auch so manches Fanclub-Logo kommt daher, als sei es der Feder der vereinseigenen Grafik-Abteilung entsprungen. Zwei Auffälligkeiten dabei auch noch. Einmal der eher martialisch wirkende, teils schnaubende Bullenkopf, einmal das lächelnde und grinsende Rinderhaupt finden sich hier auffällig häufig wieder. Buntheit und Vielfalt sollten mehr hergeben und können anders aussehen.
Womit wir wieder bei der Metapher einer bunten Fankultur wären und wir wieder zurück zu unserer neugierigen Frage nach einem LGBT-Fanclub in Leipzig kommen. In den 1990er Jahren wurden innerhalb weniger Jahre in vielen deutschen Städten übrigens schwul-lesbische Sportvereine gegründet. Mit den Rosa Löwen im Jahr 1994 tatsächlich auch in Leipzig. Bei der Größe der Stadt und den Szene-Angeboten, die man dort findet auch nicht verwunderlich. Diskriminierung und Homophobie durch bewusste Sichtbarkeit entschieden entgegentreten und gleichzeitig ein breites Sportangebot schaffen war in vielen Städten die Intention. So entstand bundesweit ein breites Angebot für Freizeit- sowie Leistungssport für Schwule und Lesben, um angstfrei und ohne Negieren der eigenen Identität Spaß an sportlicher Betätigung zu haben. Nahezu alle dieser Vereine sind international im Dachverband EGLSF (European Gay and Lesbian Sports Federation) organisiert. Auffällig, dass in den meisten Städten seit Beginn der 2000er Jahre nun auch LGBT-Gruppierungen entstehen, die ihre Liebe zu ihrem Fußballverein in den Vordergrund rücken. So wie wir mit den Queer Devils in Kaiserslautern. Auch wenn beide Interessengruppen eher selten Berührungspunkte haben oder gar kooperieren, so bieten einige der aktiven Sportvereine doch zumindest die Sparte Fußball in ihrem Angebot. In etlichen Städten findet sich eben beides, ein Regenbogen-Sportverein und ein Regenbogen-Fußballfanclub. Bremen (Wärmer Bremen neben Green Hotspots), Hamburg (Startschuss Hamburg neben Queerpass St.Pauli und Volkspark Junxx), Nürnberg (Rosa Panther neben Norisbengel), Stuttgart (Abseitz Stuttgart neben Stuttgarter Junxx), Frankfurt (FVV Frankfurt neben Regenbogenadler) oder Düsseldorf (Phoenix Düsseldorf neben WarmUp 95) sind hier die nur einige wenige Beispiele.
Zurück zur Fanszene von Rasenballsport Leipzig. Eine genauere Betrachtung aus der Sicht eines schwul-lesbischen Fanclubs hat ihren Antrieb natürlich auch in den negativen Vorkommnissen im Hinblick auf homophobe Äußerungen durch Fans des Leipziger Clubs. So bei der Auswärtspartie der Leipziger in Aue zum Auftakt nach der Winterpause, bei der jüngsten Achtelfinal-Pokalbegegnung gegen den VfL Wolfsburg Anfang März oder im Sommer im letzten Jahr beim Freundschaftsspiel gegen den FC Getafe. Vor dem Hintergrund solcher Vorkommnisse titelte Spiegel Online die Kurve habe ihre Unschuld verloren. Auch der Verein Chronik.LE ist als Dokumentationsprojekt bemüht neonazistische, rassistische und diskriminierende Aktivitäten in und um Leipzig öffentlich zu machen und dabei auch auf homophobe Vorkommnisse hinzuweisen. Für einen Verein wie Rasenballsport Leipzig, der bemüht ist nach außen ein sauberes Image zu pflegen, sind solche medialen Zeigefinger sicher kein Aushängeschild. Dennoch bestätigt auch Ingo Hertzsch, man habe von Vereinsseite hier nicht ermittelt. Die Vorkommnisse seien eher Einzelfälle und auf Einzeltäter zurückzuführen. Man vertraue hier auf die Selbstregulierung der Kurve, die bei den genannten Beispielen auch funktioniert habe. Das bestätigt auch die Berichterstattung des Mitteldeutschen Rundfunks, der den Rasenballsport-Pressesprecher Sharif Shoukry in gleicher Weise zitiert. Hertzsch betonte im Gespräch jedoch, wie sich so etwas weiter entwickle müsse man natürlich beobachten. In der Tat dürfte man von Vereinsseite kein besonderes Interesse daran haben, dass Teile der Rasenballsport-Fangruppierungen sich hier öfter in ähnlicher Form in Szene setzen.
Tatsächlich treten beispielsweise die Red Aces klar für antidiskriminierende, antirassistische Werte ein und haben sich auch im Januar 2015 auf ihrer Webseite klar gegen LEGIDA positioniert. Die Red Aces sind in der Leipziger Kurve zusammen mit den LE Bulls, dem Bulls Club und den Lecrats sicher die treibenden Support-Kräfte. Ein mittlerweile deutlich stabileres Fundament als das, was die Stadionwelt Faszination Fankurve noch 2011 in einer Betrachtung zur Leipziger Fanszene zu berichten wusste und die dort handelnden Gruppen eher als zerstrittenen Haufen darstellte. Was heute bei den Heimspielen in der Kurve präsentiert wird, kann sich nämlich durchaus sehen lassen. Das bestätigte uns auch Christoph Schneller, der Fanbetreuer des 1.FCK, der die Vorrundenbegegnung im November 2014 in der WM-Arena von 2006 natürlich vor Ort mit verfolgte. „Die Stimmung in der Heimkurve war phasenweise erstaunlich gut. Es fühlt sich nicht an, als gäbe es den Verein erst seit ein paar Jahren. Kurven anderer etablierter Vereine mit ausgeprägten Fanszenen wirken dagegen schlechter. Zwei Vorsänger koordinierten die Stimmung über eine Megafon-Anlage und die gerne zitierte Mitmachquote war absolut in Ordnung. Auch Wechselgesänge mit der anderen Hinter-Tor-Tribüne funktionierten überraschend gut“.
Ein Teil der Fans und Fanclubs hat sich übrigens auch abseits des Vereins unter dem Label „Die-Rasenballsport-Leipzig-Fancommunity“ selbst organisiert. Zumindest optisch kommt die Internetseite nicht ganz so hochglanzverliebt daher wie die Rote-Bullen-Seite. Sie wirkt aber etwas unübersichtlich und überfrachtet. Im Detail finden sich dann allerdings eine ganze Reihe guter Informationsecken, auf denen einem nicht gleich der Energy-Drink ins Gesicht springt. Zum Blättern ebenfalls empfehlenswert ist auch der Rotebrause-Blog, der als Initiative einer Einzelperson doch ganz sympathisch und informativ daherkommt.
Trotz wahrnehmbarer guter Organisation und guter Stimmung in der Kurve, stehen natürlich nicht alle Fangruppen uneingeschränkt hinter dem Brause-Projekt von Mateschitz. So hat sich kürzlich auch Zeit-Online in einer Veröffentlichung speziell der Gruppe Lecrats gewidmet, die in ihrem Selbstverständnis deutliche Ultra-Züge zeigt und sich klar gegen eine sogenannte „Verbullung“ stellen. Man lehnt das Red-Bull-Logo kategorisch ab, vermeidet Begriffe wie Rote Bullen oder Red-Bull-Arena. „Wir sind dank Red-Bull im Stadion, nicht wegen Red-Bull“, äußert sich auch ein Lecrat-Vertreter gegenüber Zeit. Ähnlich positionieren sich auch die Rasenballisten, die ebenfalls bekunden für Werte wie Fußball, die Stadt Leipzig, Fankultur, nicht aber für Sponsoren zu stehen. Die hier beleuchteten Bekenntnisse klingen altbekannt und wohlvertraut. Wenn die Entwicklung hier so weiter geht, dürfte dem Brause-Projekt noch so manche Diskussion und so manche Aufgabe ins Haus stehen. Immerhin dürfen wir eines nicht vergessen. Leipzig ist eine Stadt mit mehr als einer halben Million Einwohner und einer breiten bürgerlichen Bevölkerungsschicht. Dort war die Keimzelle einer mutigen und mündigen Bewegung, die es immerhin geschafft hat mit Beharrlichkeit und Unerschrockenheit dafür zu sorgen, dass ein kompletter Staat von der Landkarte verschwunden ist. Auch der unsäglichen „X-GIDA-Bewegung“ hatte man bisher vor allem und gerade in Leipzig zahlenmäßig stets ein deutliches und gewichtiges Pfund entgegenzusetzen.
Entwickelt sich da scheinbar etwas in Fußball-Leipzig? Ein Eindruck, den auch Fanbetreuer Ingo Hertzsch bestätigt. Allerdings auch mit der Zusatznote, man habe in Leipzig halt auf breiter Ebene Lust auf Fußball. Die Fans wollen sich dabei eben mehr auf die Unterstützung der Mannschaft konzentrieren, wollen die Stadt Leipzig repräsentieren und genau dafür ins Stadion kommen. Fußballromantik scheint dabei eher nebensächlich. Die bisherigen Zuschauerzahlen spiegeln diese Haltung durchaus wieder. Mit durchschnittlich 25.290 Besuchern bei den bisher 14 Heim-Begegnungen ein Wert, der sich sehen lassen kann. Dabei musste man bei immerhin vier Heimbegegnungen an dem für Fans ungeliebten Montag antreten. Aus einer der Montagsbegegnungen (25. Spieltag) resultiert dann auch der mit knapp 17.00 Zuschauern schlechteste Heimspiel-Zuspruch. Die bestbesuchte Partie führte am 14. Spieltag immerhin 38.660 Zuschauer ins Stadion, an einem Sonntag. Mit der Zuschauer-Statistik steht Rasenballsport Leipzig in der Liga auf jeden Fall im oberen Drittel. Aber auch die 8.194 verkauften Dauerkarten sind für ein erstes Zweitligajahr durchaus passabel, wenn auch nicht vergleichbar mit den über 18.000 verkauften Dauerkarten beim 1.FCK. Auch das ist zumindest ein Indikator wo der Brause-Club in der Entwicklung seiner Fanszene im Moment steht.
Fan-Kultur ist aber nicht nur Kurven-Kultur. Auch hier muss Rasenballsport Leipzig sich nicht verstecken. Man darf den Besuchern durchaus attestieren, dass eine spürbare Lust auf Fußball in Leipzig herrscht, nicht nur in der Kurve. Auffällig auch, dass man – bisher zumindest – von Seiten der Verantwortlichen darauf verzichtet die Tribünenbesucher mit irgendwelchem lächerlichen Equipment wie Klatschpappen oder sonstigen Karnevals-Unrat auszustatten, um hier künstlich Atmosphäre zu schaffen. Da könnte man sich an anderer Stelle mal eine Scheibe abschneiden. Auch das sonstige Geschehen im Stadion scheint nicht auf Teufel komm raus auf Vermarktungsshow ausgelegt zu sein. Christoph Schneller hier noch einmal zu seinen Eindrücken beim Gastspiel des FCK in Leipzig. „Wer im Rahmenprogramm im Stadion eine reine Event-und Werbeveranstaltung erwartete, wurde nicht bestätigt. Programm und auch Stadionsprecher stellen sich wesentlich angenehmer dar als bei manchem etablierten Erst- oder Zweitligisten“.
Für Außenstehende bleibt dennoch der Anschein haften, als entwickelten sich hier zwei Parallel-Welten. Der Fußball-Verein – oder besser die Fußball GmbH – auf der einen Seite und die Fan-Gruppierungen respektive die stattliche Zahl von Stadionbesuchern auf der anderen Seite. Von außen ist eine aktive Verbindung der beiden Welten nur schwerlich zu erkennen. Vermutlich ist diese auch nicht gewollt, wenn man sich die wirklichen Vereinsstrukturen anschaut und beispielsweise die Zahl der zahlenden Vereins-Mitglieder in die Waagschale wirft. Bei der deutlichen unternehmerischen Ausrichtung des Gesamtprojektes wäre alles andere aber auch verwunderlich. Dort wird nichts dem Zufall überlassen. Ein Eindruck, der sich nicht erst beim zweiten Hinsehen aufdrängt. So hat man sich beispielsweise die Namensrechte für das ehemalige Zentral-Stadion für den Namen RedBullArena bereits bis 2040 gesichert. Auch auf der Seite der Red-Bull-Fans wird weniger von einem Verein als vielmehr von einem Projekt gesprochen. Die Namensgebung Rasenballsport dümpelt lediglich an der Oberfläche. Das merkt man schon bei einfachsten Internetrecherchen. Wenn man Rasenballsport sucht, landet man eben immer auf einer redbulls- oder dierotenbullen-Domäne. Wo Red-Bull drauf steht, ist eben auch Red-Bull drin.
Bei allem Zuspruch der Fans in heimatlichen Gefilden, das was man bis heute bei Rasenballsport Leipzig als Fan-Community ausmachen kann, schwächelt doch merklich bei der Unterstützung des eigenen Teams bei Auswärtsspielen. Auch am kommenden Montag werden kaum mehr als 250 oder 300 Fans im Gästeblock stehen. Das sei natürlich der Entfernung und der Terminlegung geschuldet, weiß Hertzsch zu erklären. Da wirken die Äußerungen von Sportdirektor Ralf Rangnick Anfang März diesen Jahres fast schon lächerlich oder weltfremd. Selbst wenn hier nur die mögliche Situation einer Erstligazugehörigkeit beschrieben wird. „Ich bin auch überzeugt, dass Leipzig, was Auswärtsspiele angeht, nach Schalke und Dortmund wahrscheinlich die größte Zahl an Fans mitbringen würde“, so Rangnick gegenüber dem TV-Sender ran. Die Vorrundenbegegnung des 1.FCK in Sachsen war auch auf einen Montag terminiert und die Roten Teufel konnten auf die Unterstützung von rund 800 Fans bauen, trotz offiziellem Boykott. Ein erheblicher Teil davon war natürlich nicht aus der Pfalz angereist, sondern fand aus den nördlichen und östlichen Bundesländern den Weg nach Leipzig. Das ist eben der feine Unterschied den Tradition ausmacht. Davon ist der sächsische Club noch galaktische Dimensionen entfernt.
Komfortabel ausgestattet indessen ist Leipzig im Hinblick auf das Thema Fanprojekt. Gleich drei Vereine unter einem Dach. Lokomotive Leipzig, BSG Chemie Leipzig und Rasenballsport Leipzig haben jeweils klar zugeordnete Sozialarbeiter. Auch wenn man in der Location gemeinsame Verwaltungsräume nutzt, so sind die eigentlichen Fanprojekt-Räume der jeweiligen Vereine doch streng voneinander getrennt. „Eine delikate und brisante Situation, aber auch spannend“, berichtet uns Dipl.-Sozialpädagoge Jakob Grudzinski, der den Fanprojekt-Part des Brause-Clubs betreut. Immerhin sind sich die Fanlager nicht unbedingt freundschaftlich gesinnt. Dennoch, über Mangel an Zulauf, Mangel an Projektideen und Mangel an Initiative braucht man sich dort nicht zu beklagen. Eine auch hier stetig wachsende Zahl engagierter Fans bearbeitet interessante Projekte und reizvolle Themen.
Soweit ein grober Überflug über das sich abzeichnende Spektrum und die Facetten einer Fanszene bei Rasenballsport Leipzig. Die vorgenommene Zusammenfassung kann dabei nur subjektiv bleiben und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist im Rahmen einer solchen Recherche auch kaum möglich überall mal hinter die Kulissen zu schauen.
Am Montagabend wird das Geschehen auf dem grünen Rasen im Vordergrund stehen. Die wenigen Unerschrockenen, die sich in den Blöcken 17.1 und 18.1 verlieren dürften, sollten dabei jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zwei Mannschaften kämpfen um drei Punkte. Die Tragik dabei, der FCK muss punkten, will man die gute Ausgangssituation für das nicht erklärte Ziel Aufstieg 2015 erreichen, um dann in wirtschaftlich stabilere Gefilde vorzudringen zu können. Die Leipziger können punkten, um nach dem Abpfiff eine neue Positionsbewertung vorzunehmen und eventuell nochmal ins Aufstiegsrennen einzugreifen. Wenn es für die Sachsen in dieser Saison nicht reicht, dann wird eben in der nächsten Saison finanziell nachgerüstet. Für den 1.FCK leider keine Option bei einer weiteren Zweitliga-Saison. Wie weit die Investitionsabsichten des österreichischen Brausekonzerns auch abseits des Leipziger Projekt-Teils bereits jetzt gehen, lässt sich an der Absicht ablesen nun auch den Verein Leeds United übernehmen zu wollen. Damit würde man mit Salzburg, Leipzig, New York und Leeds gleich über vier Vereine und Standorte für seine unternehmerischen Absichten verfügen.
Ob man Erfolg auf Dauer allerdings grundsätzlich so kaufen und planen kann, bleibt fraglich. Immerhin reift auch in Leipzig die Erkenntnis, dass der Faktor Fan nicht planbar sei, wie Jakob Grudzinski aus seinen Erfahrungen resümiert. Wie wacklig Planbarkeit sein kann, weiß man mittlerweile auch in den Chefetagen so etablierter Clubs wie Borussia Dortmund, bei denen in dieser Saison Planung und Wirklichkeit auf dem sportlichen Sektor mehr als weit auseinander klaffen dürfte. Ganz zu schweigen von den verirrten Spezialisten in Hamburg, bei denen man seit Jahren eher das Gefühl haben muss, man hege die Absicht den HSV mit schöner Regelmäßigkeit an die Wand fahren zu wollen. Trotz der „Logistik-Millionen“ aus der Portokasse eines Herrn Kühne und anderer solventer Strippenzieher im Hintergrund. Auch im Kraichgau dürfte ein Dietmar Hopp mittlerweile erkannt haben, dass hohe millionenschwere Investitionen nicht immer Garant dafür sind, nachhaltigen sportlichen Erfolg einzufahren. Es bleibt zu hoffen, dass DFB und DFL weiter an der 50+1 Regel festhalten werden, um nicht noch mehr Spielwiesen für finanzkräftige Zocker und für deren fragwürdiges Investitions-Gebahren zu bieten. Natürlich unterliegt die Entwicklung des nationalen und internationalen Fußballs auch in Zukunft wirtschaftlichen Zwängen. Die damit verbundenen Herausforderungen sollten jedoch nicht dazu führen das Spektakel und das Kulturgut Fußball als Spekulationsobjekt zu missbrauchen. Es ist (immer noch) auch eine Herzenssache und eine Wertewelt weiter Teile der Bevölkerung. Das und die kann man weder planen noch kaufen.
mg
Hab den Beitrag gerade über Fußball für Vielfalt auf Facebook gefunden und muss erstmal sagen: Daumen hoch. Da steckt wirklich Mühe dahinter, der Beitrag insgesamt wirkt sehr reflektiert und auch vielseitig beleuchtet. Ich habe bisher selten einen so sachlichen Beitrag von einer außenstehenden Fangruppe zum Thema RB Leipzig gelesen.
Ich komme aus Sachsen, studiere seit einigen Jahren in Leipzig und habe mich das ein oder andere Mal auch schon ins Stadion begeben, wenn RB gespielt hat – so zum Beispiel als der FCK zu Gast in Leipzig war. Dabei war ich in den ersten Jahren durchaus auch bereit, RB eine Chance zu geben. Inzwischen stehe auch ich selbst dem ganzen Projekt aus diversen Gründen ablehnend entgegen.
Die Erfahrung, die ich in der Stadt gemacht habe, warum der Verein mit steigendem Erfolg auch stärkeren Zulauf hat, ist eben die hier bereits erwähnte Lust auf Fußball. In den letzten Jahren war da ja in Leipzig nicht viel zu holen, Lok und die BSG dümpeln in den unteren Ligen am Existenzminimum herum und fallen im schlimmsten Fall noch negativ durch irgendwelche Ausschreitungen auf. Für Familien macht das die Vereine nicht wirklich attraktiv. RB Leipzig jedoch bietet eine relativ familienfreundliche Atmosphäre, die Anhänger gelten in der Regel als friedlich und der Fußball ist auch noch ganz ansehnlich.
Trotzdem geht es den wenigsten Leipzigern um den Verein an sich. Die Anzahl der Fans scheint zwar zu steigen, wenn ich mich im Stadtbild so umsehe, zumindest sind mehr und mehr Menschen, vor allem Kinder, mit RB-Fanartikeln zu sehen. Ein allerdings nicht unwesentlicher Teil der Besucher geht aber ins Stadion, um Fußball zu sehen und drückt den Rasenballern nur aus einem einzigen Grund die Daumen: Damit sie in Liga eins aufsteigen und endlich die großen Vereine nach Leizpig kommen, die man in der Messestadt sonst nie zu Gesicht bekommt.
Bei einer Partie der Roten Bullen sieht man nämlich auch Leute in Bayern-Trikots oder mit BVB-Schals oder mit Nürnberg-Sitzkissen oder oder oder… im Stadion. Ein Stadionbesucher neben mir erzählte, ihm sei eigentlich scheißegal, welche Mannschaft gewinne, er wolle guten Fußball sehen, aber er drücke schon RB die Daumen, damit sie in die 1. Liga aufsteigen. Dann würden nämlich die Bayern nach Leipzig kommen und das ist allem Anschein nach für viele Leipziger das attraktivste an RB Leipzig. Der fußballhungrige Leipziger möchte gerne seinen eigenen Lieblingsverein vor der eigenen Haustür spielen sehen.
An dem Punkt wackelt dann auch Rangnicks Aussage, dass er glaube, RB Leipzig könne ähnlich viele Auswärtsfans mobilisieren wie der BVB oder Schalke. Von der Einwohnerzahl her mag Leipzig Dortmund ziemlich nahe kommen, aber nicht von der Identifikation her. Die Fans, die sich wirklich mit RB identifizieren und im Fanblock Stimmung machen, werden sicherlich mit zu Auswärtsspielen fahren – aber wie ja hier schon richtig festgestellt wurde, sind das nicht allzu viele. Der Großteil geht in Leipzig ins Stadion, weil guter Fußball vor der eigenen Haustür gespielt wird und man eben nicht mehr mehrere hundert Kilometer weit reisen muss. Das ist zumindest der Eindruck, den ich in den letzten Jahren gewonnen habe. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Sache weiterentwickelt.
Daumen hoch jedenfalls für diesen Beitrag, finde ich sehr gelungen!
Sehr elaborierter Beitrag mit fundamentalen Einblicken und -sichten. KLASSE, Mathias Grüße aus Münchweiler/Als von den Betzemännchern ! … ach ja … und 3 Punkte für den FCK am MO !!!