Vor großer Kulisse nur ein Punkt für die Moral
Der 1.FCK kommt gegen den FC St.Pauli über ein 1:1 nicht hinaus
Der 1.FCK hat gestern durchaus Zählbares liegen lassen. Bereits in Halbzeit eins waren Möglichkeiten waren da, um sich selbst auf die Siegerstraße zu navigieren. Aber Brandon Borello, Nils Seuffert, Philipp Mwene und Osayamen Osawe ließen Chancen liegen. Stattessen gingen im zweiten Durchgang die Gäste in Führung. Nachdem Jan-Ingwer Callsen-Bracker ein ärgerlicher Ballverlust unterlaufen war, zog sein Gegenspieler Sami Allagui Richtung Sechzehner. Der Lauterer Abwehrchef nahm die Hände zu Hilfe, der Kiezkicker strauchelte und fiel. Folgenschwer! Der Unparteiische entschied auf Strafstoß und schickte den Übeltäter mit Rot vorzeitig zum Duschen. Aziz Bouhaddouz verwandelte souverän zur Führung (73.). Der verdiente Ausgleich dann in der 84. Minute. Der eingewechselte Halil Altintop reagierte wie ein ausgekochtes Schlitzohr, führte gedankenschnell einen Freistoß aus, schickte Lukas Spalvis, der aus knapp 8 Metern aus spitzem Winkel einschob.
Schon kurz nach Wochenmitte konnte der 1.FCK davon ausgehen, dass die Heimpartie gegen den FC St.Pauli bis zu 30.000 Besucher ins Fritz-Walter-Stadion locken würde. Letztlich wurden es sogar 32.243! Darunter knapp 2.500 Fans aus Hamburg. Das Team hatte sich nach der Schlappe in der Vorwoche in Fürth viel vorgenommen, um Wiedergutmachung zu betreiben und in den Modus Aufholjagd zurückzufinden. Aber auch, weil gerade die Kiezkicker aus Hamburg in den letzten drei Spielen am Betzenberg jeweils die Punkte komplett nach Norddeutschland entführt hatten. Der 1.FCK begann daher gestern forsch, setzte die Hamburger früh unter Druck und hatte auch die erste Möglichkeit. Nach einem Pass von Christoph Moritz war es Brandon Borello, der das Leder aus der Distanz mutig Richtung St.Pauli-Tor schickte, das Ziel aber knapp verfehlte (10.).
Die Gäste kamen erst nach einer Viertelstunde etwas besser ins Spiel und entwickelten ein paar Minuten lang auch sowas wie Dominanz. Richard Neudecker verzog zunächst mit einem Distanzschuss (18.). Dann war es einmal mehr Marius Müller, der mit einer erstklassigen Parade zur Ecke lenkte. Nach einer Flanke von Yi-Young Park kam Sami Allagui zum Kopfball, fand im Lauterer Keeper aber seinen Meister (21.). Nur eine Minute später war es wieder der agile Sami Allagui, der zum Schuss kam, aber nur das Außennetz traf. Durchatmen auf Lauterer Seite! Doch der 1.FCK fand schnell wieder in die Spur und setzte auf der Gegenseite Akzente. Benjamin Kessel trieb den Ball nach vorne, flankte in den Strafraum, Nils Seufert stieg zum Kopfball hoch, verfehlte das Tor aber knapp (23.). Dann in der 31. Minute die bis dahin beste Chance für den 1.FCK. Nach einem Doppelpass zwischen Osayamen Osawe und Leon Guwara brachte der Abwehrspieler den Ball scharf in die Mitte, wo Philipp Mwene durchließ und der überraschte Brandon Borrello freistehend verpasste.
Die Roten Teufel spielten weiter druckvoll nach vorne, allerdings sprangen zahlenmäßig kaum noch Möglichkeiten raus. Kurz vor dem Kabinengang gab es lediglich noch eine weitere nennenswerte Torchance. Nils Seufert dribbelte Richtung Sechzehner, brachte sich mit einem Haken in eine bessere Schussposition, zirkelte das Leder dann aber doch am Tor vorbei. Mit dem torlosen Unentschieden ging es in die Pause. Auf den Rängen gemischte Gefühle und eine wenig greifbare Stimmung. Immerhin waren unzählige Fans im Stadion, die seit Wochen oder gar Monaten das Fritz-Walter-Stadion bestenfalls auf Abbildungen oder im TV gesehen, aber lange nicht mehr gespürt hatten. Zwischen unbändigem Optimismus und resignierendem Pessimismus dürfte bei den Pausengesprächen so ziemlich alles dabei gewesen sein.
Gästetrainer Markus Kauczinski brachte zum Wiederanpfiff mit Mats Möller Daehli und Aziz Bouhaddouz für Richard Neudecker und Dimitrios Diamantakos zwei frische Kräfte. Die Kiezkicker waren zu Beginn der zweiten Halbzeit auch das aktivere Team, kamen in der 54. Minute durch Cenk Sahin zu einer ersten Möglichkeit, der mit seinem Warnschuss das Tor von Marius Müller aber verfehlte. Chancen waren in der Folge Mangelware. Der 1.FCK tat sich zu Beginn der zweiten Hälfte insgesamt etwas schwer. Vor allem die Präzision fehlte vielfach auf Lauterer Seite. Osayamen Osawe kam aus rund 20 Metern zum Abschluss, aber das Leder landete in den Armen von Keeper Robin Himmelmann (53.). In der 56. Minute war es erneut Nils Seuffert, der aus rund 18 Metern unbedrängt abzog, aber das Leder unverhältnismäßig weit über den St.Pauli-Kasten in den grauen Wolkenhimmel drosch.
Auffällig, dass vor allem Nils Seuffert hier regelmäßig auf unerklärliche Weise vergibt. Der Junge vermittelt bisweilen den Eindruck, dass er in der Lage sein kann auf einem Bierdeckel zwei Gegenspielern eine Wendeltreppe ins Kreuz spielen zu können. Doch wenn er die Gelegenheit und den Raum hat, aus aussichtsreicher Position mal ein Geschoss Richtung gegnerisches Tor abzusetzen, dann jagt er das Ding in schöner Regelmäßigkeit in den Himmel oder in die Werbebande neben dem Tor. Distanzschüsse aus der zweiten Reihe ein durchaus probates Mittel. Auch um das eigene Selbstbewusstsein zu stärken, um Mut zu tanken. Nur, dann muss halt so ein Ding auch auf den Kasten kommen. Die Abschlussschwäche bleibt auch weiterhin eine offene Baustelle für Michael Frontzeck.
Nach Möglichkeiten von Aziz Bouhaddouz per Kopf (67.) und Osayamen Osawe mit einem weiteren satten Schuss, den der Torhüter der Hamburger parieren konnte (68.), war zunächst das Pulver verschossen. Die Partie plätscherte so vor sich hin. Auch die stattliche Kulisse hielt sich in dieser Phase merklich zurück. Doch dann aus dem Nichts der Aufreger des Spiels! Nach einem langen Ball unterlief Jan-Ingwer Callsen-Bracker ein Stockfehler, Sami Allagui ergatterte das Leder und zog Richtung Sechzehner. Der langgewachsene Lauterer tat sich schwer bei der Verfolgung, brachte seine Hände ins Spiel und griff gleich zweimal nach dem Trikot seines Gegenspielers, der schon vor dem Strafraum zu straucheln schien und im Sechzehner zu Fall kam.
Im Bruchteil einer Sekunde hob Jan-Ingwer Callsen-Bracker seine Arme hinter den Kopf als wollte er signalisieren „ich hab nix gemacht“, aber da war es schon zu spät. Schiedsrichter Frank Willenborg zeigte auf den Punkt, wertete das Foul als Notbremse und schickte den Lauterer Abwehrchef mit einer glatten roten Karte in die Kabine. Der Musterprofi stapfte dann auch ohne Diskussionen geradewegs zum Spielfeldrand und verschwand im Spielertunnel. Den fälligen Strafstoß jagte Aziz Bouhaddouz souverän zur 1:0 Führung der Gäste ins linke Eck (73.). Kurz darauf dann Doppelwechsel bei den Roten Teufeln. Michael Frontzeck brachte Halil Altintop für Sebastian Andersson und Ruben Jenssen für Philipp Mwene. Zuvor war bereits Lukas Spalvis für Brandon Borello ins Spiel gekommen. Die Lauterer mussten sich nun neu sortieren, mit einem Mann weniger längere Wege gehen und mit mehr Risiko in der Defensive agieren.
In der 80. Minute dann beinahe die Vorentscheidung, aber Cenk Sahin scheiterte aus spitzem Winkel an dem gestern wieder glänzend aufgelegten Marius Müller. Der FCK hielt weiter mutig dagegen, steckte nie auf und sollte sich noch selbst belohnen. Benjamin Kessel wurde auf halbrechter Position gefoult, der Schiri entschied auf Freistoß. Während die halbe Mannschaft des FC St.Pauli noch am Diskutieren und Lamentieren war, führte Halil Altintop blitzschnell aus, schickte Lukas Spalvis in eine klaffende Hamburger Defensivlücke, der zog nach ein paar Schritten aus spitzem Winkel ab und schob das Leder knapp neben dem linken Pfosten ins Netz (84.). Nun brach von den Rängen die Hölle los. Lautstark waberten die Anfeuerungswogen von allen Tribünenteilen aufs Feld und trieben die Roten Teufel weiter nach vorne. Ein Wechselspiel der Kräfte, das schon Minuten vorher aufbegehrte. Als Stadionsprecher Horst Schömbs die offizielle Zuschauerzahl bekanntgab, ging eine raunende Akustikwelle durchs Stadion, die einen Moment später nach einer Aktion von Osayamen Osawe weiteren Nährboden bekam.
Die Kulisse als zwölfter Mann nahm vor allem in der Schlussphase der Partie ihre Aufgabe ernst. „Diese Kurve kann Spiele gewinnen“, prangte schon vor dem Anpfiff in großen Lettern vor der Westtribüne. Wenn in dem altehrwürdigen Fußballtempel alle mitziehen, muss es eigentlich folgerichtig heißen „Dieses Stadion kann Spiele gewinnen“! In der Schlussphase warf der 1.FCK noch einmal alles in die Waagschale, stemmte sich mit Mann und Maus gegen die Bälle des Gegners und versuchte selbst vorne noch die Entscheidung herbeizuführen. Das wäre um ein Haar Leon Guwara gelungen, der aber in Robin Himmelmann seinen Meister fand (89.). Letztlich blieb es nach zwei Minuten Nachspielzeit beim Remis. Ein Punkt, der dem 1.FCK in der Tabelle nicht wirklich weiterhilft. Einzig für die Moral und für die Erkenntnis, dass die Mannschaft auch in Unterzahl nie aufsteckt, dürfte am Ende das Ergebnis förderlich gewesen sein. Die Mannschaft könne sich als Gewinner fühlen, attestierte Trainer Michael Frontzeck nach dem Abpfiff. Mit dem enormen Aufwand, den das Team betrieben habe, wäre es bitter gewesen, 0:1 zu verlieren. Wie wahr!
Nun ist erst mal Länderspielpause, ehe es am Osterwochenende ins Ruhrgebiet zum MSV Duisburg geht. Trainerteam und Mannschaft werden die Zeit nutzen weiter an defizitären Bereichen zu arbeiten. Vielleicht kriegt ja auch Nils Seuffert in den kommenden Tagen reichlich Gelegenheit seinen feinen Fuß für mehr Ziel- und Treffsicherheit zu schärfen. Dann aber bitte auch aus allen Lagen und Distanzen.
mg
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