Ein Fußballkrimi wie aus alten Zeiten
Der 1.FCK sichert sich in einem dramatischen Match drei wichtige Punkte
Flutlicht am Betzenberg, sieben Tore, darunter ein Treffer vom Format „Tor des Monats“, ein Eigentor, ein abgezockter Elfer und dazu ein Wechselbad der Gefühle, um nur die markantesten Highlights zum gestrigen Heimspiel ins Licht zu rücken. Dreimal gingen die Roten Teufel gegen die ambitionierten Kicker des FC Union Berlin in Führung, dreimal kamen die Gäste zurück und glichen aus, ehe Philipp Mwene in der 86. Minute mit einer entschlossenen Balleroberung und einem abgebrühten Abschluss den Siegtreffer markierte. Seine zweite Bude in der Laufenden Saison. „Das Geilste ist, dass ich das Tor noch vor der Kurve gemacht habe. Nach dem Treffer in Darmstadt war das noch einmal etwas Besonderes“, gab der sichtlich gelöste österreichische Flügelflitzer nach dem Abpfiff Einblick in seine Gefühlswelt. Nach der ernüchternden Niederlage im Erzgebirge ein Schlüsselspiel, das sicher mehr als die offiziellen 20.087 Besucher verdient gehabt hätte. Doch der knapp drei Stunden vor Anpfiff einsetzende Schneefall hatte vermutlich zahlreiche Fans vom Stadionbesuch noch abgehalten. Wer allerdings zuhause geblieben war, hat ein echtes Spektakel verpasst!
Dabei gab es schon am Vorabend eine Hiobsbotschaft, die so manchem Fan den Glauben an die erfolgreiche Gestaltung dieser so wichtigen Partie raubte oder zumindest Zweifel aufkommen ließen. Ausgerechnet Jan-Ingwer Callsen-Bracker musste mit einer Oberschenkelprellung, die er sich beim Auswärtsspiel in Aue zugezogen hatte, passen. Dabei hatte gerade er sich in den zurückliegenden Wochen zum unumstrittenen Abwehrchef entwickelt und war leuchtturmartiger Leitwolf geworden. Der verlässliche Fels in der Brandung, der als Stabilisator zum Garanten für eine deutlich sattelfestere Abwehr und für ein kreativeres Umschaltspiel avancierte, als es noch vor der Winterpause der Fall gewesen war. Aber kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken. So lief eine Startelf auf, in der keiner der in der Winterpause verpflichteten Neuen mit am Start war. Trotzdem knüpfte der 1.FCK an das an, was die Mannschaft – abgesehen von den ersten rund 30 Minuten beim Gastspiel in Aue – auch in den letzten Wochen gezeigt hatte. Laufen, rennen, kämpfen, beißen! Leidenschaft ab der ersten Minute!
Dabei setzten insbesondere der wiedergenesene Dauerrenner Brandon Borello und der nach seiner fünften Gelben Karte wieder spielberechtigte Philipp Mwene nachhaltige Akzente. Vor allem der quirlige Flügelflitzer mit der Trikotnummer 21 stellte die Berliner Defensive, speziell im ersten Durchgang, immer wieder vor Probleme. Hartnäckig in der Balleroberung, giftig in der Ballbehauptung und pfeilschnell bei seinen Offensivaktionen über die Außenbahn. Die Rahmenbedingungen mit dem schmierigen, eingeschneiten Geläuf spielten gerade ihm in die Karten. Mit seiner kleinen und kompakten Statur gelangen ihm Haken und Antritte, bei denen seine Gegenspieler gelegentlich ihre liebe Mühe hatten, sich ihre Haxen nicht zu verknoten und noch ehe die sich im Ringen um Halt und Gleichgewicht sortiert hatten, war „Klein-Philipp“ mal eben schon wieder weg.
Extrem auffällig auch Brandon Borello, das bärtige Laufwunder aus Down Under, bei man gelegentlich den Eindruck hat, jemand habe ihm ein Wespennest an den Allerwertesten genagelt. Dieser aufgeladene Irrwisch, dieses nimmermüde Energiebündel, bei dem man jedes Mal geneigt ist sich zu fragen, was der eigentlich für Drogen nimmt? Passend dazu dann auch gleich die erste nennenswerte Aktion des sympathischen und unkomplizierten Australiers. Sebastian Andersson legte per Brust auf und Brandon Borello nahm in halblinker Position aus 35 Metern den aufgesetzten Ball mutig und beherzt direkt, nagelte das Leder wuchtig und in hohem Bogen Richtung Union-Gehäuse, wo die Kugel fast im rechten Winkel unter die Unterkante der Latte klatschte und zur Führung im Netz zappelte (6.). Den Treffer wird man vermutlich in der Auswahl zum „Tor des Monats“ wiedersehen!
Nun waren die Gäste gefordert, die auch einen Gang zulegten. Felix Kroos scheiterte gleich zweimal mit Distanzschüssen (8., 11.). In der 20. Minute durfte auch Marius Müller seine Klasse zeigen, als Grischa Prömel ihn aus spitzem Winkel prüfte. Doch nur eine Minute später waren dann die Roten Teufel wieder am Drücker. Philipp Mwene startete einen seiner schnellen Konter, Brandon Borello legte per Hacke in den Lauf von Sebastian Andersson, doch Daniel Mesenhöler im Kasten der Köpenicker war vor dem einschussbereiten Schweden am Ball (21.). Nur knapp zehn Minuten später eine weitere Glanztat des Gäste-Keepers, der einen Schuss von Sebastian Andersson parierte und auch den Nachschuss von Phillipp Mwene entschärfte (30.). Der zweite Lauterer Treffer lag nun in der Luft. Erneut war es Philipp Mwene der das Leder bis zum gegnerischen Strafraum trieb, dann auf Osayamen Osawe zurücklegte, der aus gut 15 Metern das Tor aber nur um wenige Zentimeter verfehlte (32.).
Fast aus dem Nichts dann der Ausgleich. Christoph Trimmel brachte aus halbrechter Position an Freund und Feind vorbei auf den langen Pfosten. Sebastian Andersson, der einen Gegenspieler im Nacken zu spüren glaubte, ging mit dem Kopf zum Ball und bugsierte die Kugel zum 1:1 ins Netz (36.). Äußerst unglücklich und der lange Schwede wirkte einen Moment lang auch völlig konsterniert.
Aber die komplette Mannschaft und insbesondere der Unglücksrabe zeigten die richtige Reaktion, ließen nicht die Köpfe hängen und spielten weiter offensiv nach vorne. Leon Guwara passte auf Brandon Borello, der mit kurzem Antritt Richtung Grundlinie eine Schneise in die Schneedecke pflügte, eine scharfe Maßflanke auf den kurzen Pfosten legte, wo Sebastian Andersson sich gegen zwei Gegenspieler behauptete und wuchtig per Kopf ins kurze Eck einnetzte (41.). Die Kulisse war aus dem Häuschen und die Mannschaft nahm mit der knappen Führung eine gehörige Portion Selbstbewusstsein mit in die Kabine.
Nach dem Wechsel ging es trotz des schwer bespielbaren Bodens turbulent und mit teilweise hohem Tempo weiter. Die Gäste kamen dabei etwas glücklicher in die Partie und konnten nach nur sechs gespielten Minuten erneut ausgleichen. Ein Schuss von Grischa Prömel wurde vom eingewechselten Dennis Daube abgefälscht, fand so unglücklich den Weg in den Lauf des mitgelaufenen Steven Skrzybski, der das Leder aus kurzer Distanz im Tor unterbrachte (51.). Auch durch den erneuten Ausgleich ließen sich die Jungs von Michael Frontzeck nicht aus der Fassung bringen und waren weiter um Offensivdruck bemüht. Zunächst verpasste Christoph Moritz mit einem Fernschuss, der knapp einen Meter am Tor vorbeistrich (55.).
Dann einer der typischen Flankenläufe von Osayamen Osawe, der von rechts flach in die Mitte passte, wo Brandon Borello im Sechzehner einen Tick eher am Ball war und von seinem Gegenspieler Marvin Friedrich abgeräumt wurde. Schiedsrichter Sven Waschitzki zeigte auf den Punkt. Christoph Moritz legte sich das Leder zurecht, lief entschlossen an und chippte die Kugel fast lässig halbhoch in die Mitte, während der Keeper in die rechte Ecke unterwegs war. Der 1.FCK führte wieder (66.). Erneut eine Woge der Euphorie, die sich von den Tribünen herunter aufs Spielfeld ergoss. In einer Mischung aus frenetischem Jubel, Erleichterung und trotziger Ungläubigkeit. „Das hat der nicht gemacht…das hat der jetzt nicht gemacht…dieser Hund hat das jetzt nicht gemacht, oder…“, frohlockte ein Besucher, der beim Strafstoß für den Bruchteil einer Sekunde völlig erstarrt schien, als die Kugel wie im Zeitlupentempo über die Torlinie zu schweben schien! In welcher Maßeinheit wird eigentlich so eine kaltschnäuzige Abgebrühtheit wiedergegeben, die einer in so einer Situation seinem Umgebungsfeld zumutet?
Das musste doch jetzt reichen! Weit gefehlt! Bereits zweimal waren die Berliner zurückgekommen und hatten so unter Beweis gestellt, dass bis zum Ende mit ihnen zu rechnen ist. Eine Hereingabe von Christoph Trimmel traf Steven Skrzybski zunächst nicht richtig, servierte sich so aber unfreiwillig die Kugel noch einmal selbst und hämmerte den Ball dann im Nachschuss aber aus kurzer Distanz in die Maschen (81.). Verdammte Hacke, das konnte doch nicht wahr sein! Aber es war noch nicht Schluss, der 1.FCK blieb am Drücker, ging den Gegner früh an. Dabei unterlief Keeper Daniel Mesenhöler ein fataler Fehler, als einen Ball halbherzig Richtung Philipp Mwene trat. Der hatte Lunte gerochen, sich das Leder erlaufen, dabei seinen Gegenspieler noch kurz abgeschüttelt und im Schnee liegen lassen, danach fackelte er nicht lange und schoss das Leder aus 16 Metern dem Union-Keeper durch die Hosenträger zur erneuten Führung für den 1.FCK ins Netz (86.). Erneut eine irre Wende. Einfach Wahnsinn!
Ganze fünf Minuten Nachspielzeit zeigte der vierte Offizielle nach Ablauf der 90 Minuten an. Die Köpenicker probierten alles, die Roten Teufel hielten mit allem dagegen, warfen als ackerndes Kollektiv alles in die Waagschale und fighteten mit aufopferungsvoller Leidenschaft, um einen erneuten Ausgleich zu verhindern. Letztlich gelang es nach einigen turbulenten Szenen dann den knappen aber hochverdienten Vorsprung über die Zeit zu retten. Nicht nur für die Fans auf den Tribünen war der finale Pfiff des Unparteiischen eine Erlösung. „Das Spiel hat mich auch ein Stück weit mitgenommen und angefasst“, zeigte sich auch Trainer Michael Frontzeck bei der anschließenden Pressekonferenz sichtlich erleichtert, aus diesem Wechselbad an Gefühlen als Sieger vom Platz gegangen zu sein.
Der 1.FCK bleibt zwar Tabellenletzter und nach dem Ausgang der heutigen Spiele beträgt der Abstand zum Relegationsplatz zumindest bis zum Ende der Montagspartie drei Punkte, zum rettenden Ufer fünf Punkte und zum nächsten Gegner Greuther Fürth, der durch den heutigen überraschenden Derby-Sieg auf Platz 13 rangiert, wieder sechs Punkte. Was für die kommenden Wochen weiterhin Zuversicht und Mut beschert sind die Einsatzbereitschaft, die Leidenschaft und die Geschlossenheit mit der die Mannschaft zu Werke geht. All das basierend auf einer beeindruckenden körperlichen Fitness und mentalen Verfassung, für deren Zustand man immer wieder einen Namen ins Licht rücken muss. Jeff Strasser! Das dürfen wir solange der Klassenerhalt noch rechnerisch möglich ist, nie vergessen. Niemals!
mg
Wieder mit Gänsehaut gelesen. Das Tor zum 1:0 wird bestimmt gewählt.