Von Fußballstadien hin zu rechten Umsturzphantasien
Buchlesung von Robert Claus liefert Einblicke in Entwicklung des Hooliganismus
Teilweise beklemmend muteten die Einblicke in eine Szene an, die vor rund 40 Jahren ihre Anfänge nahm und vor allem in Fußballstadien seit Ender der 1970er Jahre sichtbar präsent war. Die Hooligans! Der Buchautor und Fanforscher Robert Claus gab den Besuchern der Buchlesung am gestrigen Abend im Presseraum des Fritz-Walter-Stadions einen tiefen Einblick in ein komplexes und schwieriges Thema. Bei seinen mehr als zwei Jahre währenden Recherchen zu seinem Buch „Hooligans – eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik“ hatte der gebürtige Rostocker und Fußballbegeisterter der alten Schule, auch Gelegenheit mit namhaften Größen der Szene ins Gespräch zu kommen. Was manchmal unkompliziert schien, zuweilen aber offensichtlich auch nicht immer einfach zu realisieren. So hatten sich nicht alle angefragten Protagonisten oder Köpfe der Szene seinen Fragen geöffnet oder ihm überhaupt die Möglichkeit für ein Interview gegeben. Herausgekommen ist dennoch eine lesenswerte Lektüre, die zum Verständnis der Entwicklung und heutigen Verortung einer bizarren Szene beiträgt.
Natürlich muss der Hooliganismus als Jugendkultur gewertet werden. Seit weit mehr als 40 Jahren. Wobei sich mancher der nicht ganz 30 Zuhörer bei der gestrigen Veranstaltung mit dem Begriff „Kultur“ schwer tun mag. Denn einige der Schilderungen von Robert Claus rund um die Entwicklung einer Szene, die auch in Kaiserslautern bis heute mit Gruppen wie „Rot-Front“ oder „First Class“ rund um den Fußball ihre Vertreter hat, kommen doch schon recht krass rüber. Die Bedeutung und Einflussnahme vieler Hooligan-Gruppierungen hat sich in den zurückliegenden 40 Jahren von den Kurven der Stadien jedoch längst in andere Bereiche verlagert. Vor allem in die professionalisierte Kampfsportszene und in gesellschaftliche Ecken, die weit abseits des Geschehens auf dem grünen Rasen zu finden sind. Man ist heute gut vernetzt, findet vor allem in Osteuropa Gleichgesinnte und Mitdenker, die aufgrund der dortigen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einen deutlich günstigeren Nährboden vorfinden, um ihre ideologisch fragwürdigen Gepflogenheiten auszuleben und weiterzuentwickeln. Doch wie sind die Geburtswehen dieser Szene überhaupt zu werten und vor allem zu erklären?
„Gewalt im Fußballstadion ist kein neuzeitliches Phänomen. Schon in den 1920er Jahren hat es bei sogenannten Derbys in Mannheim gehörig gekracht“, gibt Robert Claus zu bedenken. So gesehen wäre es auch zu einfach das Thema „Gewalt im Stadion“ allein dem Aufkommen der Hooligan-Szene zuzuschreiben. Ebenso wenig, wie das Fußballstadion der Geburtsort des Hooliganismus ist. Der gehört zeitlich eher ins 19. Jahrhundert und dort auch an Schauplätze eines proletarischen Milieus weit abseits des Fußballstadions. Mit dem Aufkommen des Hooliganismus im Fußball hielt also bestenfalls eine neue Form von organisierter Gewalt Einzug in die Stadien Europas. Dass dieser auch stets eine gewisse Rechtsoffenheit zugrunde lag ist unstrittig. Gefühlt unzählige Facetten dürfen hier als begleitende Ursache, die der Entwicklung der Szene in die Karten gespielt haben, sprichwörtlich mit in den Ring geworfen werden. Egal ob Musik, Besonderheiten des ostdeutschen Fußballs, politische und gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Mauerfall oder schlicht dem Thema Billigflüge. Eine Entwicklung die den internationalen Austausch in den zurückliegenden Jahren wohl erheblich vereinfachte. Jeder einzelne der mehr als zwei Dutzend Aspekte hätte eine abendfüllende Diskussion verdient gehabt, was gestern freilich den Rahmen gesprengt hätte. Ein Fokus der Betrachtung lag insbesondere auf dem Thema Gewaltbereitschaft und Gewaltverherrlichung.
Dieser Sucht nach Gewalt widmete Anfang der 1990er Jahre auch der Bayerische Rundfunk eine in mehrfacher Hinsicht beklemmende Dokumentation. In dieser kamen unter dem Titel „Uns ist nicht mehr zu helfen – Hooligans – Die Sucht nach Gewalt“ auch zahlreiche Lauterer Akteure zu Wort. Allen voran die über Jahre in Kaiserslautern schillernde Figur „Stalin“, der vielen älteren FCK-Fans auch mit seiner Kneipe „First-Class“ am Fuße des Betzenberg noch ein Begriff sein dürfte. Hält man sich die professionalisierten Strukturen und die gestählten Körper der Gruppen und Akteure von heute vor Augen, über die Robert Claus mit seiner ausgefeilten Bildsprache berichtet, dann muten einige der damals zu Wort kommenden jungen Kerle heute eher naiv und lümmelhaft an. Aber so richtig zulangen konnten sie natürlich trotzdem, wie in dem BR-Bericht die Szenen von den Ausschreitungen am 31. August 1991 belegen, als sich rivalisierende Hooligan-Gruppen nach dem FCK-Heimspiel gegen den 1.FC Nürnberg auf der Autobahnraststätte Wachenheim eine regelrechte Schlacht lieferten.
In einem Youtube Video aus dem Jahre 2009 feiert sich beispielsweise auch die Lauterer Hooligan-Gruppe First Class Crew mit einem sogenannten „Gedenktreffen am 18.05.2008“, dem Schicksalsspiel der Roten Teufel gegen den 1.FC Köln, als man dem Abstieg in die dritte Liga gerade nochmal so von der Schippe gesprungen war. Mit martialischen Texten und nicht minder beklemmendem Bildmaterial. Mehrfach sind dort Akteure mit Hitlergruß zu sehen. Man ist stolz auf die körperliche Auseinandersetzung mit Teilen des Kölner Anhangs bei den Spontan-Feierlichkeiten rund um den Klassenerhalt auf dem Rasen des Fritz-Walter-Stadions nach dem Abpfiff der Partie. Das ist gerade mal 10 Jahre her.
Den Eindruck eines eher reflektierten Menschenbildes vermittelten gestern Abend dann einige der Zitate aus der Begegnung des Autors mit Thomas Oetker, dem langjährigen Kopf der Frankfurter Hooligan-Gruppe „Presswerk“. Rund um einen Vorfall im Jahr 1986, als ein Punk bei einer Schlägerei mit einem Presswerker zu Tode kam, ringt der sich zur Gewaltbereitschaft bekennende Presswerker seinerzeit in einer Stellungnahme in einem Leserbrief um Relativierung. „Ich bin Presswerker, aber kein Faschist“, steht am Ende seines Leserbriefes an eine Lokalzeitung. Umso befremdlicher wirken da schon die Äußerungen interner Presswerker-Diskussionen, die im Jahre 1986 im Namen des Frankfurter Fanprojektes dokumentiert wurden. „Wenn ich `Sieg heil´ brülle, dann habe ich nicht im Hinterkopf: Rechts…`Sieg heil´ ist einfach ein starker Ausdruck. Das hat mit dem NS-Regime doch überhaupt nichts zu tun. Und das Hakenkreuz sieht doch auch genial aus. Mir gefällt’s“, beschreibt und rechtfertigt ein Presswerker damals seine eigene Auffassung rund um sein Gebaren in der Öffentlichkeit.
Irritierend? Für jeden aufrichtigen Demokraten, mehr als das! Wirklich nur Naivität? Mitnichten. Eine Haltung und ein Verständnis das in der Szene nach wie vor tief verankert ist. Heute womöglich mehr denn je. Klar, so eine Szene ist über Jahrzehnte hinweg natürlich lernfähig. Grade wenn sie sich gezwungen sieht repressivem Druck auszuweichen. So war bereits in den 1980er Jahren ein erster Entwicklungsschritt, dass sich rivalisierende Gruppen nicht mehr nur im unmittelbaren Stadionumfeld oder direkt in den Kurven gegenseitig die Schädel und Nasenrücken malträtierten. Man fing an sich an neutralen Orten, auf Industriebrachen, im Wald, auf der grünen Wiese, auf dem Acker zu verabreden und sprichwörtlich zu treffen. Ackermatches, wie man die organisierten Gewaltorgien in der Szene nennt.
Mit der zunehmenden Notwendigkeit körperliche Fitness als unabdingbare Grundlage zu pflegen, um im offenen Kampf nicht zu unterliegen und damit die Ehre der eigenen Gruppe im Ackerdreck wiederzufinden, wurde für die Szene zunehmend der reglementierte und organisierte Kampfsport interessant. Man trainiert unter professionellen Bedingungen, mischt im Wettkampf unterschiedliche Kampfkünste und zelebriert die Vermischung unter dem Synonym Mixed Martial Arts (MMA). Erst kürzlich widmete das ARD-Magazin Monitor dem Thema Aufmerksamkeit. In der Dokumentation „Kampfsport in der rechten Szene“ beschreiben die Autoren eindrucksvoll, was auch Robert Claus in seinem Buch intensiv beleuchtet. Organisierte Kampfsport-Events nehmen seit Jahren zu. Man trifft sich nicht mehr auf dem Acker, man besucht sich in angemieteten oder eigenen Locations, die an manchen Orten wie Hochglanz-Arenen daherkommen. Eines der bekanntesten Events mit steigendem Zulauf, der „Kampf der Nibelungen“. Dort trifft sich das „Who is Who“ der politisch rechten und rechtsextremen Szene. Anfang November werden im Rahmen des Schild-und-Schwert-Festivals in Deutschland übrigens auch erstmals sogenannte „Team-Fights“ ausgefochten. Rechtlich durchaus eine Grauzone, da hier der Tatbestand der Körperverletzung nahe liegt.
„Kampfsport spielt für die rechte Szene zwei ganz zentrale Rollen“, so Robert Claus. Einmal werde im Kampfsport Gewalt professionalisiert und man vermittle so auch eine gewisse Gewaltkompetenz. Zuletzt sei dies in Chemnitz bei der Konfrontation mit Polizeikräften quasi in der Praxis ganz deutlich geworden. Zum zweiten stehe der Kampfsport auch ein Stück weit in der historischen Tradition von Wehrsportgruppen und Wehrsportübungen, die vor einigen Jahrzehnten in Deutschland Konjunktur hatten. „Es gehört ideologisch dazu, sich körperlich auszurüsten und fit zu machen für einen politischen Umsturz“, wagte der Autor einen perspektivischen Blick in die Zukunft. Ob man damit rechnen müsse, dass diese Gruppierungen in naher oder ferner Zukunft wieder in den Stadien auftauchen könnten, oder ob es wahrscheinlicher sei, dass die ihre Gepflogenheiten eher auf der Straße ausfechten. Einschätzung des Autors: zurück ins Stadion vermutlich eher weniger. Bei dem was sich aktuell auf unseren Straßen abspiele, da sollten wir alle schon weit größere Sorgen haben.
mg
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