In letzter Sekunde aus dem Storchennest geflogen
Unglücklicher Last-Minute-Treffer beschert dem FCK dritte Auswärtsniederlage
Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit in den Gesichtern der Spieler, der Verantwortlichen und auch der Fans. Ein sicher geglaubtes Unentschieden auf fremdem Terrain ging gestern in der Partie bei Holstein Kiel in der dritten Minute der Nachspielzeit verloren. Mit der letzten Offensivaktion sicherten sich die Hausherren drei Punkte gegen einen Gegner, der mit einer besseren Chancenauswertung nie und nimmer als Verlierer hätte vom Platz gehen dürfen. Stipe Vucur fälschte Sekunden vor dem Abpfiff eine Hereingabe von der rechten Seite so unglücklich mit dem Fuß ab, dass der Ball als Bogenlampe Richtung Tor schwebte, sich über Marius Müller hinweg senkte und hinter dem sich streckenden Keeper im Netz landete. Der Schiedsrichter ließ erst gar nicht mehr anstoßen. So bitter kann Fußball sein! Aber letztlich haben es sich die Roten Teufel aufgrund der wieder einmal mageren Auswertung der eigenen Chancen selbst zuzuschreiben nun auch nach dem dritten Auswärtsauftritt der noch jungen Saison wieder ohne Punkte nach Hause fahren zu müssen.
Die Heimstärke der Kieler war bekannt und die Hausherren gingen auch genau so druckvoll in die Partie, wie erwartet. Die Anfangsoffensive der Störche überstand der FCK unbeschadet mit einer soliden Defensivleistung. Wobei die Schwierigkeit schon darin bestand, in einer wieder einmal notgedrungen veränderten Anfangsformation zunächst Stabilität zu finden. Patrick Ziegler, Manni Osei Kwadwo und Neuling Sebastian Anderson sollten Philipp Mwene, Mads Albaek und den mit Verdacht auf Gehirnerschütterung angeschlagenen Gervane Kastaneer ersetzen. Fußballerisch in Tritt zu kommen wurde auch dadurch erschwert, dass der Rasen bei miesem Regenwetter zwar nicht leicht zu bespielen war, aber damit hatten auch die Kieler zu ackern. Der FCK kam nach der Anfangsviertelstunde besser in die Partie und erarbeitete sich bis zur Halbzeitpause auch ein sichtbares Übergewicht und ein zählbares Chancenplus. Die Führung indessen gelang den Störchen. Für die Roten Teufel mal wieder ein Nackenschlag, weil das Team bis zum Treffer eigentlich besser war und das Tor kurz vor dem Pausenpfiff fiel. Nach einem Ballverlust von Sebastian Anderson bediente Dominik Drexler Mit einem langen feinen Ball den gestarteten Steven Lewerenz, der sich im Laufduell gegen gleich zwei Lauterer Akteure behauptete und aus spitzem Winkel trocken ins linke unter Eck einnetzte (43.).
Nackenschlag Teil eins! Dabei hätte schon Leon Guwara in der 23. Minute die Führung erzielen können, aber sein Schuss landete am Außennetz. Baris Atik brachte einen gefährlichen Freistoß auf den Kieler Kasten, doch Keeper Kenneth Kronholm war zur Stelle (32.). Aber auch Daniel Halfar per Schuss (34.) und Stipe Vucur per Kopf nach einer Ecke (42.) hätten den FCK in Führung bringen können. Stattdessen die Führung der Störche kurz nach dem gefährlichen Aufreger vor dem Tor der Hausherren. Die hätten nur wenige Zeigerumdrehungen später, in der Nachspielzeit des ersten Durchgangs eigentlich gleich nachlegen können, ja sogar müssen. Marvin Duksch tauchte frei vor Marius Müller auf, drosch das Leder aber über den Kasten in die tief hängende Wolkendecke. Vor allem die letzten Minuten der ersten Halbzeit gaben den Störchen Auftrieb, den sie mit in den zweiten Durchgang nahmen. Der FCK brauchte wieder etwas Zeit sich zu fangen und auch nach vorne zu agieren. Norbert Meier nahm Baris Atik runter und brachte den später gescholtenen Brandon Borello (53.), was nicht wirklich für mehr Variabilität oder gar Torgefahr sorgte. Trotzdem kam der FCK zum Ausgleich. Der gestern wieder sehr lauffreudige Benjamin Kessel kam über rechts, flankte vors Tor, wo sich Sebastian Anderson gegen seinen Gegenspieler durchsetzen und das Leder über die Linie bugsieren konnte (63.).
Das gab Auftrieb, das machte Mut und führte zumindest zu einigen Offensivaktionen. Wirklich überzeugend oder gefährlich gestaltete sich das FCK-Spiel dennoch nicht. Vor allem weil ganz vorne im Grunde keine Durchschlagskraft vorhanden war. Osayamen Osawe verrannte und verbrannte sich erneut ein ums andere Mal in der gegnerischen Abwehr, Sebastian Anderson fehlt noch Bindung zu Mannschaft und Spiel. Sonderlich viele Alternativen hatte Norbert Meier in der Offensivetage gestern aber ohnehin nicht. Wäre ein Gervane Kastaneer beim Abschlusstraining nicht mit der Birne mit Jan Ole Sievers zusammengerasselt und hätte sich Lukas Spalvis im Mannschaftshotel nicht mit seiner verspäteten Ankunft zur Mannschaftsbesprechung und einer daraus resultierenden Suspendierung aus dem Kader gekegelt, Osayamen Osawe hätte den Tag vermutlich auf der Bank geklebt. Stattdessen musste er ran und konnte leider erneut nicht überzeugen. Für einen kantigen Stürmer mit dieser körperlichen Athletik ist das einfach zu wenig. Wenigstens hatte der blonde schwedische Neuzugang mit der Nummer 9 mit seinem Ausgleichstreffer dafür gesorgt, dass die bisherige Null-Tore-Politik des FCK auf fremdem Terrain beendet wurde. Wenigstens ist auch Kacper Przybylko wieder zurück, der nach seiner Fußverletzung so lange pausieren musste und der sich nach eigenem Bekunden fit fühle und brenne. Natürlich fehlt ihm noch Spielpraxis, weswegen es wohl gestern auch nur zu einem knapp fünfzehnminütigen Kurzeinsatz reichte, als der lange Pole für den blassen Osayamen Osawe kam. Wirklich entscheidende Offensivakzente vermochte aber auch der Rückkehrer nicht zu setzen.
Trotzdem sind sowohl Sebastian Anderson als auch Pritsche klitzekleine Lichtblicke. Arg viel mehr als Lichtblicke wird es aber nicht geben, an das sich der FCK-Tross in den kommenden Wochen klammern kann. Zu zahlreich, zu groß scheinen diverse Baustellen zu wirken, als dass sich hier binnen Wochenfrist wirksame Veränderungen einstellen könnten. Aber es muss schleunigst mehr von dem aufs Parkett, das den eigentlichen Sinn des Spieles widerspiegelt – Tore! In der gestrigen Schlussphase schienen beide Teams nicht wirklich noch ein Feuerwerk abbrennen zu wollen. Umso unverständlicher, dass die Hausherren in der dritten Minute der Nachspielzeit überhaupt noch vors Tor kommen durften. Mit den bekannten Folgen und dem unsäglichen Last-Minute-Treffer für die Störche. Nackenschlag Teil zwei! Unfassbar, unglaublich! Vor allem Marius Müller konnte sich nach dem Abpfiff kaum noch beruhigen und kritisierte einerseits die fehlende Konzentration, die notwendig gewesen wäre, den einen Punkt einzusacken. „Ich verstehe es nicht, dass wir vor der Halbzeit und am Schluss zwei Minuten haben, wo wir mit dem Kopf irgendwo sind. Das kapiere ich nicht.“ Aber auch die „Dauerbaustelle Offensivabteilung“ erntete harsche Worte des angefressenen Keepers. „Es muss doch einfach mal in unsere Birne gehen, unsere Dinger vorne zu Ende zu spielen“, will die lang gewachsene Nummer eins der Roten Teufel damit aber auch die gesamte Mannschaft in der Pflicht sehen. Drei Auswärtspartien, null Punkte. Der Fehlstart bei gleichzeitig nur zwei Punkten aus zwei Heimpartien ist perfekt. Der FCK bleibt auch nach dem fünften Spieltag Tabellenvorletzter.
Dass der 1.FCK nur wenige Spielzeiten vorweisen kann, in denen man auf des Gegners Platz regelmäßig Punkte einstrich, gehört in der Historien-Statistik zur „Tradition“ des Vereins. Dazu gehört aber auch der einstige Mythos der Uneinnehmbarkeit der Festung Betzenberg. Letzteres auch, weil zurückliegende Fußballer-Generationen wirklich bis zum Abpfiff einer Partie das über 90 Minuten erreichte bis zum Umfallen festzuhalten gewillt waren oder mit Wucht etwas für unmöglich gehaltenes noch erzwungen hatten. Die Fanseele kramt nach den gestrigen Erlebnissen so gesehen instinktiv in den Erinnerungen an die Zeiten, als der „Betze-Fußball“ noch „Betze-Fußball“ war. „Es gab Zeiten, da hätten ein Hans-Günter Neues oder ein Mario Basler so nem heranflatternden Klapperstorch den ballführenden Fuß in den Rasen genagelt oder den Kollegen per Bodycheck Richtung Kabine transportiert dass der mit der Fresse in der Werbebande gelandet wär und dort bleibend seinen Gesichtsabdruck hinterlassen hätte. Auch wenn sie nen gelben Karton dafür gesehen hätten“ Das Urteil eines altgedienten Tribünen-Recken mag spekulativ sein, aber die Feststellung als solche wirkt irgendwie schon zutreffend. Immerhin hatte Norbert Meier nach Ablauf der letzten Saison Spieler versprochen, die den alten Betze-Fußball verinnerlicht haben und ihn auch zelebrieren würden. Davon war gestern vor allem in den Schlussminuten nicht viel zu spüren.
Von außen betrachtet, fehlt so gesehen der Biss, der notwendig ist, eine Partie in der schon so oft zitierten „allerneunzigsten“ Minute noch zu drehen und zu gewinnen oder wie gestern wenigstens den einen Punkt festzuhalten. Wenigstens das! In der Spielanalyse werden die Verantwortlichen genau hingucken und den Jungs zeigen wo die Fehler liegen, die es abzustellen gilt, damit in einer ähnlichen Partie der Gegner in drei Minuten Nachspielzeit erst gar nicht in Strafraumnähe oder gar Tornähe kommen wird. So echauffierte sich auch Boris Notzon nach der Partie über die Nachlässigkeiten, die der entscheidenden Spielszene vorausgegangen waren. „Es kann nicht sein, dass ich mit einem Chipball, den Patrick Ziegler nicht erreicht, in letzter Minute so eine Situation auslöse.“ Gemeint war Neuzugang Brandon Borello, der in der Entstehung der Offensivaktion den geforderten nötigen Biss hatte vermissen lassen. Nicht nur in der Situation. Viel Licht am Horizont ist nicht in Sicht. Am kommenden Samstag geht es zu Angstgegner SV Sandhausen, wo der FCK noch nie drei Punkte einsacken konnte. Danach gastiert in der englischen Woche Erzgebirge Aue auf dem Betzenberg und wenn die Mannschaft in Sandhausen nicht ein deutliches Zeichen setzt, ist eine Minuskulisse unter der Woche bei der Anstoßzeit vorprogrammiert.
mg
Das war wieder ein super Text zu einem Spiel, das man getrost wieder in die Tonne kicken kann.