Vom Anfang bis zum Ende Pipi in den Augen
Ein Tag voller Emotionen – der 1.FCK sichert am letzten Spieltag mit einem Heimsieg die Klasse
Es waren nicht nur die 90 Minuten auf dem Platz, die in Kaiserslautern am gestrigen letzten Spieltag der zweiten Liga für viele Emotionen sorgten. Schon Stunden vor dem Anpfiff war die Stadt am Fuße von Deutschlands legendärem Fußballberg angefüllt von einem greifbaren Knistern. Bereits am frühen Vormittag waren überall teufelsrote Tupfer in den Gassen der Altstadt und rund um den Stiftsplatz zu sehen. Tausende Fans folgten dem Aufruf der Ultra-Gruppen, sich nahe der Stiftskirche zu sammeln und sich einem Fanmarsch zum Stadion anzuschließen, um an der Auffahrt zum Betzenberg für den Mannschaftsbus Spalier zu stehen. Ein Gänsehautgefühl, das auch einige der Profikicker im Dress der Roten Teufel tief beeindruckte. Aber auch im Stadion zelebrierten die Fans des 1.FCK schon vor dem Anpfiff, während der spannenden Partie sowie lange nach Spielende zahlreiche Momente, die unter die Haut gingen. Dabei ging es gestern nicht etwa um Titel, einen Pokal oder eine Chance zum Aufstieg. Es ging letztlich nur darum, die drohende Relegation und die Gefahr des Abstiegs in die sportliche Drittklassigkeit zu vermeiden und die damit verbundene Voraussetzung, den Traditionsverein auch wirtschaftlich in der kommenden Saison am Leben zu erhalten.
Mit den 38.423 Zuschauern bei der gestrigen Partie war die erhoffte Marke mit der „Vier“ ganz vorne zwar nicht ganz geknackt worden, aber die Fans, die gestern kamen, warfen alles in die Waagschale, was erforderlich war, um wieder ein Stück dessen in die Öffentlichkeit zu tragen, was den Betzenberg über Jahrzehnte auszeichnete. Leidenschaftlichen Einsatz von den Rängen mit euphorischer Lautstärke, einer unerschütterlichen Geschlossenheit, entschlossenem Willen und dieser trotzigen Haltung, die dem Gegner da unten auf dem Rasen hören, fühlen, sehen lassen sollte, „nein, wir beugen uns nicht und Ihr nehmt von hier nichts mit, gar nichts“! Nicht nur von der stimmgewaltigen Wand der für die Gegner stets bedrohlich anmutenden Westtribüne, nein, auch aus dem Osten herüber, von den treuen Fans von Südtribüne herunter oder den vielen alteingesessenen Haudegen auf der Nord war diese Stimmungsmischung vom Anpfiff weg auf den Rasen geschwappt. Die Mannschaft hat dies aufgenommen und ihr Versprechen gehalten, „dieses verdammte Spiel zu gewinnen“, wie Kapitän Daniel Halfar es in der Videobotschaft des Teams vom vergangenen Donnerstag formuliert hatte.
So waren neben der Stimmungslage in der Stadt, dem Fanspalier und den proppenvollen Anfahrtswegen und Einlasskontrollen sicher die sich füllenden Tribünen ein weiterer Augenschmaus am gestrigen Nachmittag, die manchem auch einen wohligen Gänsehautmoment bescherten. Spätestens jedoch als vor dem Einlaufen beider Mannschaften die tausendfache „Kopf-an Kopf“ Silhouette der Westtribüne unter einer spektakulären Choreographie der Frenetic Youth verschwand, zollten auch beim Autor die wässrigen Augen im gefärbten Antlitz ihren Tribut. „Wir teilten Euphorie und belastende Sorgen. Mit dieser Familie bin ich erwachsen geworden“.
Auch wenn die noch junge Ultra-Gruppe damit die erste Dekade ihrer eigenen Geschichte eingerahmt hatte, das Motto hätte jeder einzelne FCK-Fan auf jeder einzelnen Tribüne getrost auch für sich selbst in Anspruch nehmen können. Man ersetze gedanklich „erwachsen“ durch „alt“ oder „glücklich“ oder „groß“ oder „stolz“ oder „stark“ oder welche auch immer gearteten passenden Attribute und denke sich an Stelle des Substantives „Familie“ die viel beschworene FCK-Familie und unseren Verein, den 1.FC Kaiserslautern, als Ganzes. Damit wäre jede entfachte Diskussion um die Frage ob die Darbietung an diesem Spieltag passend war oder nicht, fade Makulatur und völlig überflüssig geworden. Ein großer persönlicher Dank an die Frenetic Youth für diesen bescherten emotionalen und mentalen Ausflug! Identifikation erfordert manchmal eben auch ein wenig Phantasie und Esprit.
Aber natürlich wurde auch Fußball gespielt. Das Wichtigste überhaupt am gestrigen Tag. Der 1.FCK war in den Anfangsminuten darauf bedacht, sich Sicherheit durch Stabilität in der Defensivarbeit zu holen. Zumal Norbert Meier auf immerhin vier Positionen umgestellt hatte. Für den gesperrten Marcel Gaus, den kurzfristig verletzten Tim Heubach sowie die auf der Bank platzierten Lukas Görtler und Jaques Zoua liefen Naser Aliji, Niklas Shipnoski, Robert Glatzel und Osayamen Osawe auf. Die Franken ließen den Ball sicher laufen und kamen schon in der 4. Minute zu einer ersten dicken Chance. Edgar Salli überlief auf der linken Seite seine Gegenspieler, bediente Eduard Löwen, der nur hätte querlegen müssen, sich aber für den Abschluss entschied und dabei verzog. Aber die 11 Franken auf dem Platz spielten schließlich auch gegen den 12. Mann in Kaiserslautern und die Kulisse peitschte die Roten Teufel ins Spiel.
Nach wenigen Minuten nahmen die Jungs von Norbert Meier nun das Heft in die Hand und fanden Gefallen am Offensivspiel. Robert Glatzel mit einer feinen Einzelleistung (8.), Robin Koch per Kopf nach einem Freistoß (15.) und Christoph Moritz mit einem beherzten Distanzschuss (17.) sorgten für die ersten Duftmarken vor und in Richtung Nürnberger Tor. Nur drei Minuten später war es dann soweit. Phonetisch schien Daniel Halfar der bis dahin ohnehin schon lautstarke Support noch längst nicht genug. An der Seitenlinie motivierte er wild gestikulierend die Südtribüne, die quasi sofort auf den Sitzen stand. Mit dem kurz danach folgenden zweiten Eckstoß des FCK war es dann soweit. Es war Kapitän Daniel Halfar selbst, der die Ecke scharf vor das Tor von Keeper Thorsten Kirschbaum brachte und obwohl Stipe Vucur noch mit gestrecktem Bein versuchte an den Ball zu kommen, fand die Kugel ohne weitere Berührung den Weg ins Tor. Die Anspannung entlud sich in einem kollektiven Jubelschrei, bei dem auch so manche Träne kullerte.
Der quirlige und leidenschaftliche, aber über die gesamte Saison oft so glücklose Daniel Halfar war gestern der beste Mann auf dem Platz! Sein glänzend getretener Freistoß in der 30. Minute hätte fast schon das 2:0 bedeutet. Doch Der Club-Keeper entschärfte den Ball mit einer gekonnten Parade, wobei der Ball in hohem Bogen sogar noch auf die Latte klatschte. Gerade Daniel Halfar wäre es gestern zu gönnen gewesen einen zweiten Treffer zu markieren. Ihm, den Fans und dem Verein und irgendwie natürlich auch der Mannschaft. Doch trotz spielerischer Überlegenheit und trotz der deutlich besseren und zahlreicheren Möglichkeiten taten die Roten Teufel gut daran weiter wachsam zu bleiben. Denn in der 45. Minute hatte der Club durch Hanno Behrens eine Möglichkeit, agierte aber im Abschluss nicht konzentriert genug. So ging es mit der knappen aber verdienten Führung der Roten Teufel in die Kabine.
Im zweiten Durchgang blieb der FCK die überlegene Mannschaft und kam zu ersten Möglichkeiten. Osayamen Osawe verpasste eine Flanke von Philipp Mwene nur knapp (48.). Youngster Niklas Shipnoski hätte in der 51. Minute das Vertrauen von Norbert Meier beinahe mit einem Tor belohnt, scheiterte jedoch am Keeper der Franken. Christoph Moritz setzte einen Schussversuch ab, den die Nürnberger im letzten Moment noch blocken konnten (53.). Aber auch die Gäste kamen zu Chancen. Nach einem Konter war Julian Pollersbeck bereits geschlagen, doch Stipe Vucur rettete beherzt (54.). Der junge Lauterer Keeper über dessen Zukunft schon seit Wochen wild spekuliert wird, zeigte nach einem scharfen Schuss von Cedric Teuchert einmal mehr sein Können (62.). Aufatmen auch in der 64. Minute, als der quirlige Abdelhamid Sabiri einen Ball aus kürzester Distanz über das Lauterer Tor semmelte. Der Fußballgott war gestern auch ein bisschen ein Fußballteufel!
Der in allen 34 Ligaspielen eingesetzte und eigentlich als Alternative eingekaufte Philipp Mwene, hätte in der 67. Minute seine persönliche Saisonleistung noch krönen können. Vom Strafraumeck zog er beherzt in die Mitte und schlenzte den Ball nur um Haaresbreite am linken Toreck vorbei. In der letzten Viertelstunde lief nun die Uhr runter und das Publikum verwandelte im Minutentakt das Stadion in eine reine Stehplatz-Arena. Frenetisch wurde jede Defensivaktion bejubelt, um Nürnberger Aktionen im Keim zu ersticken, wurde jede ansatzweise Offensivaktion angefeuert, um die Jungs im roten Dress nach vorne zu tragen. Betzenberg, so lieben wir Dich und so kennen wir uns! Zwischenzeitlich waren Lukas Görtler (für Niklas Shipnoski) und Sebastian Kerk (für Osayamen Osawe) ins Spiel gekommen. Norbert Meier nahm kurz vor Schluss mit der Einwechslung von Patrick Ziegler (für Naser Aliji) nochmal Zeit von der Uhr. Trotz etlicher Bemühungen der Nürnberger um Offensivkontrolle und trotz mehr notwendiger Defensivleistung der Hausherren, brannte nicht mehr viel an. Nach 3 Minuten Nachspielzeit pfiff Schiedsrichter Markus Schmidt die Partie und damit auch die Saison ab.
Während vom Team auf dem Spielfeld die Anspannung abfiel, machte sich auch auf den Tribünen Erleichterung breit und entlud sich im Jubel über die vermiedene Relegations-Verlängerung. Auch dieser Moment ließ so manches Augenpaar in einem wässrigen Glanz erscheinen. Aus dem Westen kam nun noch einmal eine deutlich lesbare Kritik der Kurve. „Eine Fangemeinschaft mit Leidenschaft – Eine Mannschaft ohne Charakter“ stand dort fett auf einem Transparent am Zaun. Und dann glühte, ja brannte die Westtribüne und verschwand in einer Wolke aus Rauch und dem Feuerschein eines Pyro-Feuerwerks. Man darf gespannt sein, welche Konsequenzen der Verein hierauf nun wieder aus Frankfurt zu erwarten oder zu befürchten hat.
Das Team trug währenddessen artig ein Banner mit einem Gruß an die Fans über den Rasen Spazieren. „Danke für Eure Unterstützung“ war dort in weißen Lettern zu lesen. Im Laufe dieser Saison sind für Eure Unterstützung leider schon so viele abgesprungen, die sich diesen Fußball einfach nicht mehr antun wollten oder gar konnten. Diejenigen, die gestern auf den Tribünen standen oder saßen und in manchem Moment Pipi in den Augen hatten, gaben damit mehr ihre Verbundenheit mit diesem einzigartigen Verein Ausdruck, denn mit der aktuellen Mannschaft. Diese Verbundenheit war auch gestern bis in den letzten Winkel des Stadions zu spüren. Aber um so ein Gefühl Spieltag für Spieltag zu erhalten, braucht es keine Transparente, sondern einen Fußball, der auch von den Akteuren auf dem Rasen Identifikation mit dem Verein wiederspiegelt.
Der Schulterschluss zwischen Fans und Mannschaft und ein daraus entstehender überragender Support sind am einfachsten durch Leidenschaft und Einsatzwillen zu bekommen. In jeder Partie, während einer ganzen Saison. Beides und so manches mehr haben in dieser Spielzeit nur allzu oft gefehlt. Für einen Dank der Mannschaft hätte gestern trotz einer verkorksten Saison so manche authentischere und kreativere Darbietung aus der Spontanität heraus dem Credo eines 1.FC Kaiserslautern besser zu Gesicht gestanden, als dieses Hochglanzbanner aus dem Portfolio irgendeiner Marketingabteilung. Schade eigentlich um diese vertane Chance. Hoffen wir, dass die Worte von Norbert Meier sich in die Tat umsetzen lassen, in der kommenden Saison wieder den Fußball präsentieren zu wollen, der den Betzenberg auch früher ausgezeichnet hat. Damit wären auch Spieler mit Ecken und Kanten gewollt. Ob die am Ende einer Saison dann allerdings gerne Transparente über den Rasen tragen würden, das darf man jedoch jetzt schon in Frage stellen.
mg
Vielen Dank für diesen großartig geschriebenen Text zum Abschluss der Saison.
Hätten die Mannschaft so Fussball gespielt wie der Verfasser schreibt, wir würden erst im August 2017 in die Saison gehen.