Ein Näschen dafür, wo Hilfe gebraucht wird
ToG Preis auch für Frenetic Youth und FC Welcome Neustadt
Anfang der Woche hatte das Fanprojekt Kaiserslautern die Gewinner des in diesem Jahr erstmals aufgelegten Wettbewerbs „Tribüne ohne Grenzen“ bekannt gegeben. Wir hatten über die Vergabe und über unseren eigenen prämierten Fanclub-Beitrag bereits ausführlich berichtet. Neben den Queer Devils gehören die Ultra-Gruppe Frenetic Youth mit ihrem Projekt „Pfandkiste “ und die Initiative „FC Welcome Neustadt“ mit einem Integrationsprojekt für Flüchtlinge zu den Preisträgern. Beide Gewinner-Projekte wollen wir hier noch etwas näher beleuchten. Heute zunächst den Beitrag der Frenetic Youth, die sich zu „Tribüne ohne Grenzen“ sogar mit zwei Projektbeiträgen beworben hatten. Die beiden anderen Preisträger, zwei sehr unterschiedliche Initiativen, zwei sehr unterschiedliche Projektideen. Was beide verbindet, die Initiatoren haben ein ausgeprägtes Näschen dafür, wo Hilfe gebraucht wird. Aber nicht nur das alleine. Eine Idee zu haben ist eine Sache, sie mit Tatkraft, teils langem Atem und viel Enthusiasmus dann auch umzusetzen, ist eine andere Sache. Die Projekt-Bewerbungen und die daraus resultierenden Ergebnisse zeigen aber einmal mehr, dass Erich Kästners Moral-Philosophie auch heute noch Bestand hat – „es gibt nichts Gutes, außer man tut es“. Ein starkes und klares Plädoyer für Zivilcourage, wofür die beiden prämierten Preisträger beste Beispiele sind.
Die in Kästners Zweizeiler verpackte Haltung und Sicht auf die Welt spiegelt sich letztlich auch zu erheblichen Teilen im Selbstverständnis wider, das bei der Frenetic Youth gelebt wird. Die rund 50 Mitglieder der sprichwörtlich „jungen“ Ultra-Gruppe, die ihre fußballerische Heimat auf der legendären Lauterer Westtribüne haben, zeichnen sich nicht nur durch ihren engagierten, lauten, kreativen, bunten und kontinuierlichen Support der Mannschaft des 1.FCK aus. Sie leben eben auch eine unverkrampfte Wertewelt, wie sie alle anderen Ultragruppen in anderen Stadien natürlich auch für sich in Anspruch nehmen. Dazu gehört, sich auch ohne festgefahrene Denkmuster mal gegen gesellschaftliche Konventionen zu stellen. Insofern ist das mit dem ToG-Preis prämierte Projekt „Pfandkiste“ auch hierfür ein prädestiniertes Beispiel. Nicht immer nur reden, einfach mal machen! „Es war wichtig und richtig Initiative zu ergreifen und bürokratische Rahmenbedingungen erst einmal völlig unberücksichtigt zu lassen. Wir hatten das nicht mit der Stadt Kaiserslautern abgestimmt“, berichtet uns Marco von den FY, der das Projekt mit begleitet hat. Wer weiß, ob der Idee sonst auch der gewünschte Effekt garantiert und der erzielte Erfolg beschieden gewesen wäre?
Die Idee, die dem Prinzip Pfandkiste zugrunde liegt, entstand allerdings an anderer Stelle. Mit der Initiative „Pfand gehört daneben“ hatte 2011 der Berliner Grafik-Designer Matthias Gomille die Initialzündung gegeben. In einem Facebook-Beitrag rief er dazu auf, Pfandflaschen nicht einfach wegzuschmeißen, sondern stattdessen neben die Mülleimer zu stellen. Die Resonanz auf seine Idee war groß. Es folgten Aufkleber mit selbst kreierten Logo, später Flyer, Poster und Postkarten. Die ursprünglich aus Spenden finanzierte Kampagne arbeitet mittlerweile mit Unternehmen aus der Getränkeindustrie, mit Künstlern, zahlreichen prominenten Unterstützern und natürlich der Zielgruppe selbst zusammen. Im Jahr 2013 hat dann der Getränkehersteller Lemonaid aus Hamburg die Idee aufgegriffen und weiter perfektioniert. Auf der Webseite der Lemonaid Beverages GmbH, die auch zahlreiche andere soziale und ökologische Projekte unterstützt, findet sich mittlerweile sogar eine Bauanleitung für die Pfandkiste. Diese Idee griffen die Frenetic Youth vor etwas mehr als zwei Monaten auf und entwickelten daraus ihr eigenes, auf Kaiserslautern zugeschnittenes Projekt, das ständig von 3-4 Leuten aus der Gruppe begleitet wurde.
Der Sinn und Zweck, der dahinter steckt ist so simpel wie das Bauen der Pfandkiste selbst. In einer Gesellschaft in der die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergeht, ist diese Form von Ungleichheit in vielen Städten auf den Straßen tagtäglich zu sehen. Auf der einen Seite werfen Menschen ihre Pfandflaschen einfach weg, weil sie sich so gut situiert glauben, dass man auf die paar Cent nicht angewiesen scheint. Wie war das nochmal….wer den Pfennig nicht ehrt…! Auf der anderen Seite finden sich Menschen, die wirtschaftlich so schlecht gestellt sind, dass sie weggeworfene Flaschen wieder aus dem Müll herausfischen und zu barer Münze machen. Aus existenziellen Gründen sogar zu barer Münze machen müssen! So zeigt sich eindrucksvoll der Unterschied zwischen arm und reich in unserer Gesellschaft. Flaschen sammeln, um aus dem Ertrag, den das Pfandgeld abwirft, Existenzen zu sichern, das ist erniedrigend! Aber nicht nur das. Es birgt auch ein nicht zu leugnendes Verletzungsrisiko, wenn man mit bloßen Händen in dunklen Mülleimern rumwerkelt! Da drängt sich eine öffentlich zugängliche Pfandkiste an Laternenmasten oder an Halterungen für Abfalleimer förmlich auf. Ökonomisch, ökologisch, praktisch! Über die Frage ästhetischer Aspekte könne man trefflich streiten. Es ist durchaus möglich, dass es sogar Stellen im Stadtbild geben mag, wo der bunte Farbtupfer, den die Frentic Youth mit der Pfandkiste ins Bild werfen, durchaus sogar eine optische Bereicherung darstellen kann. Immerhin geben sich die Jungs auch hinsichtlich der Optik allergrößte Mühe. Die Kisten werden allesamt in Farbe getaucht. Rot und weiß natürlich, die Farben des Vereins, die Farben der Ultra-Gruppe.
Wie weit die mittlerweile rund zwanzig Pfandkisten in der Lauterer Innenstadt derweil angenommen wurden, könne man nicht genau sagen. Sporadisch und stichprobenartig schauen die Jungs der Ultra-Gruppe schon regelmäßig nach ihren Flaschen-Deponien. Es lasse sich daher ein eher überwiegend positives Fazit ziehen. Leider wurden an einigen Stellen die Pfandkisten auch bereits wieder entfernt. Trotz durchdachter Befestigungsstrategien. Wobei man den ursprünglich gewählten Befestigungsmechanismus nach den ersten Versuchen noch einmal weiter verbessert hat. Kabelbinder allein, wie in der Bauanleitung beschrieben schienen da nicht rundum geeignet. Ob das Entfernen aus ordnungsrechtlichen Gründen von Behördenseite oder durch ordnungsliebende Mitbürger, die daran Anstoß nehmen passiert sei, das könne man im Moment nicht sagen, berichtet uns Marco etwas ratlos. Auf jeden Fall werde man das weiter beobachten und werde die entfernten Kisten auch regelmäßig wieder anbringen. Vielleicht geht es dann einfach nur darum, wer den längeren Atem hat. Aber man wolle das Projekt auch weiter vorantreiben und ist ständig auf der Suche nach geeigneten Standorten. Wer dazu Ideen hat, in und um Kaiserslautern, kann seine Tipps sicher gern noch einreichen.
Man darf gespannt sein, wie viele Pfandkisten und Standorte dafür in Kaiserslautern noch hinzukommen. Fest steht und dazu herrschte auch bei der ToG-Jury Einigkeit, das Projekt hat eine hohe soziale Note. Nicht nur aufgrund des direkt Nutzens, durch die in den Kisten abgelegten Flaschen. Die Idee birgt auch den sinnvollen Effekt, dass durch dieses Projekt dem beschriebenen Problem nachhaltig mehr Beachtung geschenkt und für die Betroffenen eine kritische Lobby geschaffen werden kann. Man kann und darf sicher sein, dass die engagierte Ultra-Gruppe diesen Diskurs in der Stadt und im Umland auch weiter mit verfolgen und unterstützen wird. Möglicherweise sogar im direkten Dialog mit Verantwortlichen der Stadt. Man darf den Initiatoren nur wünschen, dass die Idee auch von dort offizielle Unterstützung erfährt. Auf jeden Fall von dieser Stelle noch einmal herzlichen Glückwunsch für die Auszeichnung Eurer Projektidee mit dem ToG-Preis! Einen dritten Bericht zur Auszeichnung des Projekte „FC Welcome Neustadt“, werden wir in der kommenden Woche veröffentlichen.
mg
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