Wenn der Kopf dominiert, werden Beine und Stimmbänder schwer
Erste Heimniederlage der laufenden Saison ausgerechnet im „Advantage-Match“
Es waren erst 14 Minuten gespielt. Alexander Ring setzte zu einem spektakulären Fallrückzieher an, traf den Ball wuchtig und setzte die Kugel im langen Eck in die Maschen. Die Kulisse explodierte förmlich, schrie die aufgestaute Anspannung aus dem letzten Winkel der Fußballseele in den frühsommerlichen Himmel. Doch dort drüben an der rechten Außenlinie stand dieses Männlein und signalisierte stoisch mit dem Fähnlein, dass dies kein Treffer war. Alexander Ring hatte aus klarer Abseitsposition getroffen. Der Tor-Jingle tönte noch durch’s Fritz-Walter-Stadion, Menschen lagen sich noch immer in den Armen, als die Partie schon wieder weiterlief. Nicht vom Anstoßpunkt, sondern vom Eckpunkt des Fünfmeterraumes. Erst jetzt realisierten die meisten der 45.035 Besucher, dass dieses Momentum des Glücksgefühls, dieser Augenblick der Erleichterung ein Trugschluss war. Es war genau der Augenblick in der Partie aus dem heraus man wohl am deutlichsten ablesen konnte, wie hoch die Erwartungen des Lauterer Anhangs hingen – und wie tief sie just in diesem Augenblick zu Boden fielen.
Man wäre geneigt sich festzulegen. Hätte der Treffer in dieser frühen Phase des Spiels gezählt, die Kiezkicker aus Hamburg wären an jenem Tag auf dem Betzenberg abgesoffen, mitsamt ihrer martialischen Piratenflagge. So aber hatte man als Außenstehender den Eindruck, als lähmte der fortwährende Spielverlauf nicht nur die Protagonisten auf dem Rasen, sondern auch die Rekordkulisse auf den Rängen. Spätestens nach dem zweiten Treffer der Hamburger in Halbzeit zwei, war dann vom legendären Mythos Betzenberg, dem vielbeschworenen wuchtigen Aufbäumen nicht mehr viel übrig. Die Mannschaft schaffte es nicht mit deutlicher Körpersprache einen Impuls zu setzen, der die Tribüne mitreißt. Die Kulisse ihrerseits schien gleichermaßen zu sehr gelähmt, um mit einem akustischen Gewaltakt auf dem Rasen etwas auszulösen.
Dabei begannen die Jungs von Kosta Runjaic vielversprechend. Der Coach hatte im Vergleich zur Partie in Darmstadt auf drei Positionen gewechselt. Für den angeschlagenen Tim Heubach rückte Dominique Heintz in die Innenverteidigung. Kevin Stöger und Philipp Hofmann mussten für Karim Matmour und Simon Zoller auf die Bank. Vom Anpfiff weg machten die Roten Teufel Druck und drängten ein ums andere Mal Richtung Hamburger Strafraum. Mit teilweise schnellen und gefälligen Kombinationen spielten sich die Jungs in aussichtsreiche Positionen. Das trotz disziplinierter Abwehrarbeit der aufopferungsvoll arbeitenden Kiezkicker. Die Räume waren immer wieder eng, die Wege über die Außenpositionen beschwerlich. Dennoch, bis zum Halbzeitpfiff hätten sowohl Markus Karl (3.), Karim Matmour (23.), wieder Markus Karl (33.), Michael Schulze (37.) und Simon Zoller (43.) eine beruhigende Führung herausschießen können. Aber der Ball ging jeweils knapp drüber oder vorbei, auf die Latte oder der Hamburger Keeper Hammerling stand der letzten Spielstation im Weg.
Die meisten Zuschauer waren sich mit dem Gang in die Kabine sicher, es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis der erste Treffer für die Roten Teufel fällt…und dann, ja und dann würde sicher der im Geiste bereits dutzende Male abgelaufenen Party sicher nichts mehr im Wege stehen. Es sollte anders kommen. Der FCK nahm zwar auch in Halbzeit zwei vom Anpfiff weg das Heft in die Hand, aber bereits die erste Offensivbemühung der Truppe aus St.Pauli führte zur Führung der Gäste. Kerem Demirbay lenkte einen Ball unglücklich ab, Jan-Philipp Kalla ließ sich nicht zweimal bitten und schoss trocken zum 0:1 ein. Wenn’s kommt, kommt’s meist dick! Schon acht Minuten nach der Führung entschied Schiedsrichter Kinhöfer auf Strafstoß für St.Pauli. Dominique Heintz im Zweikampf mit Christopher Buchtmann. Der Lauterer Innenverteidiger legte Hand an der Schulter des Gegenspielers an, der prompt fiel. Marcel Halstenberg legte sich das Leder auf den Punkt und donnerte ihn humorlos mittig zum 0:2 ein (55.). Marius Müller hatte nichts zu halten.
Der FCK antwortete zwar mit wütenden Bemühungen gefährliche Angriffe vor das gegnerische Tor zu tragen, doch wirklich Zwingendes sprang kaum noch heraus. Man merkte den Akteuren in Rot fortan an, die Angst vor einem dritten Treffer war wohl im Kopf stets präsent. Die Angriffsbemühungen blieben zwar bestimmt, doch auch die Hamburger waren nun hochkonzentriert, verteidigten leidenschaftlich die Führung und konnten einige Mal auch zu Entlastungsangriffen ansetzen. Akzente, die Zählbares hätten einfahren können setzten lediglich Chris Löwe mit einem satten Distanzschuss (60.) sowie Jean Zimmer (82.) und Simon Zoller (86.), die beide am gut reagierenden Hamburger Keeper scheiterten . So stand trotz 3 Minuten Nachspielzeit nach dem Abpfiff fest, der 1.FCK verliert zum ersten Mal nach 21 Heimspielen wieder eine Begegnung im eigenen Stadion. Die Stürmung der wiedergewonnenen Metapher „Bastion Betzenberg“ kommt zum ungünstigsten Zeitpunkt.
Es ist sicher ein möglicher Aspekt, dass es fehlende Cleverness und mangelnde Coolness war, die das herbeigesehnte Saison-Final-Szenario über den Haufen geworfen hatte. Angefühlt hat es sich natürlich wie ein Desaster, was sicher der Konstellation von Spieltag, Tabellensituation und der Serie von 21 niederlagenlosen Spielen geschuldet war. Es sagt sich natürlich leicht, der Ball wollte einfach nicht rein. Der Ball kann nichts dafür. Was der tut oder tun soll, dafür sind die auf dem Rasen handelnden Personen zuständig. Was demnach definitiv fehlte, war die spürbare und sichtbare mentale Wucht der Männer in Rot, diesen Ball genau dort hin befördern zu können, wo die Früchte des Erfolgs geerntet werden, hinter die Torlinie! Man hatte von außen in vielen Szenen den Eindruck als stünde es den Jungs von Kosta Runjaic ins Gesicht geschrieben, in den entscheidenden Momenten mehr mit dem Denkapparat zu agieren, anstatt intuitiv, instinktiv und aggressiv dem Gegner und dem Spielgerät den eigenen Willen physisch aufzuzwingen.
Kleiner Exkurs in die nahe Vergangenheit. Am 4. August 2014 gastierte der TSV 1860 München zum Saisonauftakt auf dem Betzenberg. Der FCK lag zur Halbzeit 2:0 hinten und das in Unterzahl! Mannschaft und Zuschauer fighteten sich gemeinsam zurück und drehten das Ding noch zu einem 3:2! Unvergessen dabei der wuchtige und energiegeladene Siegtreffer von Philipp Hofmann in der 80. Minute. Der hätte in dem Moment sogar einen Bagger umgerannt, hätte der sich ihm in den Weg gestellt. Ein anderes Spiel? Ja! Weniger Druck? Nein! Keine Mannschaft geht durch eine harte Vorbereitung und lässt sich zuhause beim Saisonauftakt gerne mit zwei oder mehr Toren Differenz eindosen. Nein, sie wehrt sich, so wie es die junge Truppe damals getan hat. Die Jungs von Kosta haben sich gewiss auch vergangenen Samstag zur Wehr gesetzt, aber eben nicht mit der zwingenden Mentalität wie an jenem Montagabend im August 2014.
Gleiches gilt auch für einen Großteil der Zuschauer. Es ist gar nicht so weit her geholt, dass ab dem ersten Hamburger Tor viele auf den Rängen mehr mit Tabellen-Rechnereien auf ihren Smartphones, Diskussionen und Debatten mit Nebenleuten oder schlicht mit dem eigenen Innenleben beschäftigt waren, als mit dem Geschehen auf dem Rasen. Das möge im Nachhinein jeder mit sich selber ausmachen. Wer letzten Samstag im Stadion war und jetzt nach der verlorenen Heimpartie mit der Mannschaft hart ins Gericht geht, der möge aber auch bitte seinen eigenen Beitrag, nach dem Rückstand zusammen mit der Mannschaft noch etwas drehen zu wollen, selbstkritisch auf den Prüfstand stellen. Der Autor nimmt sich davon ganz sicher nicht aus!
Natürlich tut diese Niederlage aus verschiedensten Blickrichtungen betrachtet extrem weh und hat nach dem Abpfiff für viel Sprachlosigkeit gesorgt. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, der 1.FCK wird diesen bitteren Spieltag auf dem dritten Tabellenplatz abschließen, dem Relegationsplatz! Wer hätte darauf vor der Saison gewettet? Vielleicht sollte man tatsächlich wieder zum gewohnten Muster zurückkehren und nur das folgende Spiel fokussiert betrachten. Euphorisierende Nebenschauplätze haben jetzt einfach in den Hintergrund zu treten. Die Mannschaft wird das hinkriegen. Sie wird dieses gebrauchte Heimspiel aus dem Kopf bekommen und im Erzgebirge denselben nur soweit im Betriebsmodus halten, wie es für kämpferischen, leidenschaftlichen, willensstarken Instinkt-Fußball erforderlich ist. Dieses junge Team hat sich binnen 11 Monaten so unglaublich weit entwickelt und so viel gelernt. Sie sollten sich das vor Augen halten und auf dem Feld die richtige Antwort geben, die jedem zeigt – „was wir uns bis hierhin erarbeitet haben, das wird uns niemand mehr nehmen, niemand!“ Auf nach Aue….
mg
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