Der Betzenberg hat seine Emotionen zurück
Der 1.FCK ist auch im vierten Spiel gegen das Leipziger-Millionenprojekt ungeschlagen
Es war die vermutlich emotionalste Szene des Spiels. In der 63. Minute holte der Leipziger Willi Orban an der Außenbahn Marcel Gaus von den Beinen. Da der ehemalige Lauterer Innenverteidiger nach einem Foul an Jean Zimmer bereits Gelb gesehen hatte, blieb Schiedsrichter Bastian Dankert keine Wahl. Er schickte den 23-jährigen mit Gelb-Rot vorzeitig unter die Dusche. Ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert, schallender Spott und hämische Gesten begleiteten den Geschmähten und Konsternierten in die Kabine. Bis dahin hatte das Publikum den ehemaligen Lauterer Akteur bei jedem einzelnen Ballkontakt gnadenlos ausgepfiffen. Die spielerisch überlegenen und dominierenden Kicker aus Leipzig gingen vor 27.332 Zuschauern in der 56. Minute durch Emil Forsberg in Führung. Der 1.FCK hielt vor allem in der zweiten Halbzeit verbissen und aufopferungsvoll dagegen und belohnte sich letztendlich für seine Leidenschaft. In der 83. Minute gelang dem eingewechselten Kacper Przybylko der letztlich hochverdiente Ausgleich. Sein erster Treffer vor heimischem Publikum. Glückwunsch, Pritsche! Die Mannschaft hat ihren Worten Taten folgen lassen, hat ihre begrenzten spielerischen Mittel mit viel Kampf, Einsatz, Willen und Leidenschaft kompensiert und so dafür gesorgt, dass kaum ein Fan unzufrieden vom Berg gestiegen sein dürfte! Danke dafür!
Das Publikum hat gestern Abend mit Gift und Galle einen akustischen Rahmen zelebriert, wie man ihn in einem Drehbuch kaum besser vorformulieren könnte. Das war genau die Atmosphäre für die der Betzenberg bis heute einen legendären Ruf genießt und für die so viele den Fußball bis heute lieben! So manchem Protagonisten im Dress des sächsischen Fußball-Projektes dürfte das nicht gefallen haben. Allen voran dem Defensivmann mit der Rückennummer 4 in Diensten des Brause-Konzerns. Er selbst hat lange und oft genug selbst inmitten der Fans auf der legendären Westtribüne gestanden und mit Gänsehaut unterm roten Trikot erlebt, was Betzenberg-Atmosphäre bedeutet und was sie auslösen kann. Ohne Emotionen ist der Fußball langweilig, ohne Emotionen funktioniert Fußball nicht und damit sind eben nicht nur die Emotionen auf dem grünen Rasen gemeint, sondern auch die der Akteure auf den Tribünen. Die akustische Darbietung der Gefühlsregungen und Befindlichkeiten derselben eingeschlossen!
Sportlich gesehen muss man selbstverständlich zur Kenntnis nehmen und auch anerkennen, dass mit der Leipziger Mannschaft eine Truppe auf dem Rasen steht, die es fußballerisch eben drauf hat. Das war vor allem in Halbzeit eins deutlich zu sehen. Das war fast ein Klassenunterschied, dem die Akteure im roten Dress lediglich ihre Leidenschaft und ihre körperliche Präsenz in der Defensivarbeit entgegensetzen konnten. Nach vorne ging für den FCK im ersten Durchgang kaum etwas. Aber genau das ist das Salz in der Suppe, das ist es was den Fußball ausmacht und wofür der 1.FC Kaiserslautern in den zurückliegenden Jahrzehnten immer gestanden hat. Als Underdog gegen einen übermächtig scheinenden Gegner alles in die Waagschale werfen und den Großen auch mal ein Bein stellen.
Speziell im ersten Durchgang war natürlich etwas Glück dabei. Die Leipziger übernahmen vom Anpfiff weg das Zepter und legten den Vorwärtsgang ein. Das körperbetonte Spiel des 1.FCK sorgte jedoch dafür, dass die kombinationssicheren Akteure aus Sachsen kaum gefährlich in den Strafraum eindringen konnten. Wo spielerisch keine Torgefahr zu erzeugen war, da mussten eben Standards her. In der 13. Minute hätte ausgerechnet Willi Orban nach einer Ecke mit einem Kopfball seine Mannschaft in Führung bringen können. Marius Müller, am gestrigen Abend einmal mehr ein sicherer Rückhalt für die Mannschaft, entschärfte die Kugel mit einer beherzten Faustabwehr. In der 25. Minute dann erneut kräftiges Durchatmen in den Reihen der Roten Teufel. Eine leicht verunglückte Abwehr von Stipe Vucur fand den Fuß von Lukas Klostermann. Dessen beherzte Direktabnahme pfiff nur ganz knapp über das Lauterer Gehäuse. Der FCK stand auch in der Folge kompakt, die Schützlinge von Ralf Rangnick fanden trotz spielerischer Überlegenheit und deutlich mehr Ballbesitz keine Lücke in den Defensivreihen des FCK. Erneut ein Standard sorgte wieder für Gefahr. Ein Freistoß von Dominik Kaiser verfehlte den Kasten von Marius Müller am linken Winkel nur um Haaresbreite (37.). Mit dem torlosen Unentschieden ging es in die Pause.
Trainer Konrad Fünfstück brachte zum Wiederanpfiff Mateusz Klich für den Gelb-Rot-gefährdeten Markus Karl. Die Rollenverteilung blieb zunächst unverändert. Dennoch brachte eine FCK-Aktion den ersten Aufreger. Jean Zimmer wurde in leicht abgedrängter Position am rechten Strafraumeck von Diego Demme umgetreten und zwar im Sechzehner. Der sonst sichere Unparteiische wertete die Situation anders, verweigerte den fälligen Strafstoß und ließ weiterspielen. Der erste schnell durchgeführte Angriff der Gäste brachte dann auch gleich die Führung. Marcel Sabitzer bediente mit einem klugen Zuspiel Marcel Halstenberg, der von der Außenbahn in die Mitte querlegte. Der mitgelaufene Emil Forsberg musste nur noch den Fuß hinhalten (56.). Die Roten Teufel waren nun gefordert, brauchten aber einige Minuten ihre defensive Haltung in offensive Bewegung umzuschalten, die das Publikum energisch forderte. Letzteres war dann in der bereits zitierten Szene, die zur Dezimierung des Tabellenzweiten führte, hellwach und legte akustisch noch einen drauf. Mehr als zehn lange und zähe Minuten dauerte es, bis Trainer Konrad Fünfstück reagierte und mit Kacper Przybylko endlich eine neue Offensivkraft brachte und die Mannschaft umstellte. So mancher Tribünengast hätte sich hier ein schnelleres und spontaneres Signal des Lauterer Trainers gewünscht.
Der FCK ließ direkt nach dem Abgang des Leipziger Innenverteidigers noch die sichtbare Überzeugung missen, dass hier noch was geht. Zumindest auf dem Feld. Auf den Rängen brodelte es zu dem Zeitpunkt schon. Es fehlte minutenlang die Durchschlagskraft sich mit einem Mann mehr auf dem Rasen auch den nötigen Vorteil oder gar aussichtsreiche Torchancen zu erzwingen. In der 80. Minute aber hätte es einfach klingeln müssen! Mateusz Klich fand eine Lücke in der Leipziger Defensive und steckte auf den glänzend postierten Kacper Przybylko durch. Dessen Zuspiel auf den mitgelaufenen Alexander Ring drosch der Finne am rechten Fünfmetereck freistehend aus kürzester Distanz über die Latte in den nasskalten Abendhimmel! What the fuck…! Nur drei Minuten später dann eine ähnliche Kombination mit vertauschten Rollen. Alexander Ring flankte von rechts vors Tor, wo Kacper Przybylko nicht lang fackelte und den Ball ins Netz knallte (83.). Das Stadion war nun ein echter Hexenkessel, doch trotz der intensivierten Offensivbemühungen der Roten Teufel sollte in der verbleibenden Spielzeit inklusive der zwei Minuten Aufschlag kein weiterer Treffer mehr gelingen.
Die Jungs von Konrad Fünfstück haben der ambitionierten Millionentruppe aus Sachsen gestern Abend zwei Punkte abgetrotzt. Mit ein wenig mehr Glück hätte man das verpönte Kommerz-Projekt des österreichischen Brause-Konzerns sogar mit leeren Händen nach Hause geschickt. Das Leipziger Team rangiert zwar weiterhin auf Rang zwei der Tabelle und hat nun vier Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz. Dennoch war so manchem aus dem Leipziger Lager gestern Abend eine gewisse Dünnhäutigkeit durchaus anzumerken. Allen voran Trainer Ralf Rangnick, der sich über die ein oder andere Szene auf dem Feld und insbesondere die Anfeindungen gegen seinen Schützling aus früheren Lauterer Tagen echauffierte und sichtlich angenagt schien über die liegengelassenen Punkte.
Fußball ist Volkssport und Volkes Stimme hat sich gestern Abend lautstark über das ausgelassen, was die Ideale jeder etablierten und gewachsenen Fankultur torpediert. Ihre verbalen Ausführungen, Herr Rangnick, lassen den Schluss zu, dass Sie längst jede Verbindung zu diesen Idealen und zu der Basis des Fußballsports verloren haben! Man hat gestern Abend deutlich gespürt und auch deutlich gesehen, dass nicht nur der Zuschauer auf den günstigeren Stehrängen seinem Unmut Luft gemacht hat, sondern auch das zahlungskräftigere Publikum auf den teuren Plätzen Ihren Akteuren mit Schaum vor dem Mund begegnet war. Man mag über die ein oder andere sichtbare Unmuts-Darbietung auf der Westtribüne von gestern Abend trefflich streiten und sie auch unpassend finden. Dem schließen wir uns sogar an, wenn weit unter der Gürtellinie oder gar auf der Grundlage strafrechtlicher Aspekte agiert wird. Den neuesten Meldungen zufolge wird der DFB auch in diese Richtung ermitteln. Tja, soso, der DFB! Der Dachverband in Frankfurt, die Hüter jedweder Moral, deren schamloses Korruptionsgebaren aus der Vergangenheit noch lange nicht aufgearbeitet ist. Geld regiert eben die Welt, so wie bei Ihrem Fußballunternehmen in Leipzig, das sich anmaßt ein Verein sein zu wollen.
Gehen Sie weiter ihren Weg, Herr Rangnick, lamentieren Sie ruhig weiter, aber lassen Sie den Menschen ihren emotionalen Bezug zu diesem Sport und lassen Sie ihnen auch ihre Art diesen Bezug zu artikulieren. Aber vielleicht kümmern Sie sich während der Sommerpause einfach mal darum die Fankultur in Leipzig etwas intensiver zu etablieren. In qualitativer Hinsicht können Sie dann gern Ihr persönliches Leitbild dort mit einfließen lassen. Schwerpunkt einer solchen Aufgabe sollte allerdings der quantitative Aspekt sein, sonst wird das nix mehr, der Borussia aus Dortmund oder Schalke 04 bei der Zahl der Auswärtsfans die Stirn zu bieten oder gar den Rang abzulaufen. Falls Ihnen mit der Mannschaft der Aufstieg in der laufenden Spielzeit nun noch gelingt, freuen Sie sich übrigens auf herzliche Empfänge in vielen anderen Arenen der Republik. Wir sind sicher, die werden dem Spektakel von gestern Abend in kaum etwas nachstehen.
mg
Wunderschön geschrieben. DANKE
Genau so hätte ich diese Nachlese auch geschrieben. Habe leider kein Schreibgen .
Schön, dass es so schlaue rot-weiße Köpfe gibt. Gut gemacht Matze.
Treffender kann man es nicht schreiben, prima. Besonders die letzten Absätze und Zeilen